Eine Rezension von Bertram Winde

Des Kaisers postmoderne Kleider

Alan Sokal/Jean Bricmont: Eleganter Unsinn
Wie die Denker der Postmoderne die Wissenschaft mißbrauchen.
Aus dem Englischen und Französischen ins Deutsche übertragen von
Johannes Schwab bzw. Dr. Dietmar Zimmer.
C. H. Beck'sche Verlagsbuchhandlung, München 1999, 350 S.

„Fashionable Nonsens“ lautet der Titel der englischsprachigen Ausgabe dieses Buches (1998). Ein Beitrag zur Nonsens-Literatur vom Beck-Verlag? Elegant formulierte Schüttelreime oder Limericks? Glücklicherweise wird aus dem Untertitel deutlich, daß es um etwas ganz anderes geht: um eine ernsthafte Auseinandersetzung mit Denkern der Postmoderne. In diese, durch die Abkehr von den Fortschritts- und Avantgardevorstellungen der Moderne gekennzeichnete Richtung ordnet sich auch eine Reihe von Philosophen, Psychologen, Soziologen und Kulturwissenschaftlern ein, die ihren Überlegungen häufig eine recht bedenkliche, wieder einmal in Mode gekommene Weltsicht zugrunde legen. Rationale Vorgehensweisen sind ihnen verdächtig und sollen durch Selbstreflexion, durch Verwischen der Grenzen zwischen Wirklichkeit und Denken bis hin zu einer Neuauflage von „wissenschaftlichem“ Solipsismus oder doch wenigstens radikalem Skeptizismus ersetzt werden. Dem treten Sokal und Bricmont mit guten Argumenten und klaren Formulierungen entgegen. Sie leisten damit einen eigenständigen Beitrag zur Kritik der Postmoderne. Seit den achtziger Jahren wird dieser Begriff - 1976 (D. Jencks) in den USA zunächst für die Architektur geprägt - unbesehen auf alle möglichen künstlerischen, literarischen und geisteswissenschaftlichen Bereiche übertragen.

Im Buch wird das postmoderne Denken nicht in seiner Gesamtheit mit allen seinen Varianten analysiert, sondern in bewußter Beschränkung konzentrieren sich die Verfasser auf einen relativ wenig bekannten Aspekt: den wiederholten Mißbrauch von Ideen und Begriffen aus Mathematik und Physik durch einige postmoderne Denker. Auf diesen Gebieten sind die Autoren zu Hause, sind sie doch ausgewiesene Physiker mit gründlichen Kenntnissen der Mathematik. Sokal ist Professor für Physik an der New York University (USA) und Bricmont theoretischer Physiker an der Université de Louvain (Belgien). Sie scheuen sich aber auch nicht, ihre Grenzen zu überschreiten und vom Standpunkt des Naturwissenschaftlers in die erkenntnistheoretische und epistemologische Diskussion einzutreten.

Die beiden Physiker legen Wert darauf, daß nicht alle postmodernen Denker über einen Kamm geschoren werden dürfen und daß die Argumentation mit mathematischen und naturwissenschaftlichen Begriffen und Theoriefragmenten nicht das Wesentliche an ihren Werken ist, das sie häufig als Naturwissenschaftler nicht gültig bewerten können. Sie meinen aber zutreffend: „... wenn man in einem Teilbereich - und sei es ein Randbereich - mangelnde intellektuelle Redlichkeit (oder grobe Unfähigkeit) entdeckt, wird man das übrige Werk natürlich kritischer unter die Lupe nehmen.“

Das Ziel des Buches besteht darin, zu sagen, der Kaiser ist nackt. Es will zu einer kritischen Haltung anregen, und zwar nicht nur gegenüber bestimmten Personen, sondern gegenüber einem Teil der Intelligenz nicht nur im französischsprachigen Raum, sondern auch in den Vereinigten Staaten und im übrigen Europa, der diese Form des Diskurses zugelassen, oft sogar gefördert hat. Viele Zitate im Buch stammen von herausragenden amerikanischen Forschern aus dem Bereich der Kulturwissenschaften und aus verwandten Gebieten, aber diese Autoren sind oft, zumindest teilweise, Schüler oder Exegeten der französischen Meister.

Es gilt heutzutage als Dernier cri, der Ratio kein allzu großes Vertrauen zu schenken und besser mit allerlei mystifizierenden Praktiken zu kokettieren. Weitverbreitet sind unterschiedlichste Spielarten irrationaler Lehren, Astrologie, Leben nach dem Mondkalender (wann man am besten sein Geld ausgeben soll, wann man mit einer Diät beginnen soll etc. wird in einem derartigen Elaborat geraten) oder Erklärung irdischer Ereignisse durch das Wirken menschenähnlicher Wesen von Hunderte Lichtjahre entfernten Planeten. Diese relativ harmlosen Varianten uralten, offenbar unausrottbaren Aberglaubens kursieren in weiten Bevölkerungskreisen. Doch Verdächtigung rationalen Denkens ist keineswegs auf die Leser der Boulevardpresse beschränkt, sondern wird wieder einmal mit „wissenschaftlichem“ Anspruch von hochgebildeten Intellektuellen unter die Leute gebracht.

In dem Buch wird beispielhaft der Schnickschnack einiger, in ihrem Fach angesehener französischsprachiger Philosophen und Soziologen schonungslos seiner angemaßten Würde entkleidet und der berechtigten Lächerlichkeit preisgegeben. Wohl gemerkt: Die beiden Autoren sehen die Sozialwissenschaften keineswegs in ihrer Gesamtheit als suspekt an, im Gegenteil, sie betonen, daß diese Disziplinen von größter Bedeutung sind, wollen aber jene, die in diesen Fächern arbeiten (vor allem die Studenten), vor gewissen eklatanten Fällen von Scharlatanerie warnen. Vor allem soll der Nimbus zerstört werden, den einige Texte besitzen: Sie seien deshalb so schwierig zu verstehen, weil die darin vorgebrachten Gedanken so tiefgründig seien. An zahlreichen Beispielzitaten wird gezeigt, daß die Texte einzig und allein deshalb so schwierig erscheinen, weil sie triviales oder absolut nichts aussagen. Offensichtlich befolgen einige Postmoderne Georg Christoph Lichtenbergs vor 250 Jahren ironisierte „... große Regel: Wenn dein bißchen an sich nichts Sonderbares ist, so sage es wenigstens ein bißchen sonderbar.“

Außerdem werden von Sokal und Bricmont einige gedankliche Verwirrungen zerpflückt, die in den Schriften der erwähnten Intellektuellen gehäuft vorkommen und entweder den Inhalt oder die Theorie der Mathematik oder der Naturwissenschaften betreffen.

Wer seine Darlegungen vertrauenswürdig machen will, bezeichnet sie am besten als wissenschaftlich. Was für „wissenschaftlich“ erklärt wird, scheint im Publikum als sehr nahe an der Wahrheit angesehen zu werden. Dabei kommt es kaum darauf an, ob es möglicherweise nur mit pseudowissenschaftlicher Phraseologie verbrämter Unsinn ist. Nach ihrer eigenen Meinung benutzen selbst Handliniendeuter und Astrologen „wissenschaftliche Methoden“. Dabei werden offenbar der große Erfolg und das Ansehen mathematischer und naturwissenschaftlicher Verfahren, mit ihrer Kombination von deduktiven und induktiven Vorgehen, von Mathematik, Experiment und praktischer Nutzung ausgenutzt, um einen hohen Wahrheitsgehalt der eigenen Phantastereien vorzutäuschen. Daß sich aber dieser Roßtäuscherei nicht nur allerlei Scharlatane, sondern auch Gelehrte, die für seriös gelten, bedienen, wird in der vorliegenden Arbeit an vielen treffenden Beispielen gezeigt. Durch derartige Tricks kann die Kluft zwischen „den beiden Kulturen“ (Snow, 1967) allerdings nicht überbrückt werden.

Sokal und Bricmont untersuchen kritisch zahlreiche Texte, z. B. von Jacques Lacan (Psychoanalytiker), Julia Kristeva (u. a. Literaturkritikerin), Luce Irigaray (Linguistiker, Epistemologe) Jean Baudrillard (Soziologe, Philosoph), Bruno Latour (Wissenschaftssoziologe), Paul Virilio (Architekt, Stadtplaner) sowie der Philosophen Gilles Deleuze und Guattari. Deren Versuche, mathematische und physikalische Begriffe und Theorien in ihre Disziplinen zu übertragen, halten sie für Mißbrauch. Sie erklären, daß sie alle als gescheitert gelten müssen, weil es keinem der kritisierten Autoren gelungen ist zu zeigen, daß naturwissenschaftliche Begriffe oder Theoriefragmente erfolgreich in ihre Überlegungen einbezogen werden können. Markante Beispiele sind Lacans Übertragung topologischer Theorien in die Psychologie, Kristevas Verwendung der Theorie unendlicher Mengen in ihrer Analyse poetischer Sprachen sowie Deleuzes und Guattaris assoziativer Umgang mit der Relativitätstheorie, der Quantenmechanik und der Chaostheorie in ihrem Bestseller Was ist Philosophie? Nachgewiesen wird, daß mehrere postmoderne Denker die naturwissenschaftlichen Theorien, mit denen sie hantieren, nur sehr oberflächlich oder sogar völlig falsch verstanden haben. Einige der von den beiden Physikern zusammengesuchten Textstellen sind an Absurdität nur schwer zu überbieten.

In einem „Intermezzo-Epistemischer Relativismus in der Wissenschaftstheorie“ überschriebenen Kapitel gehen die Autoren über ihren eigentlichen Gegenstand hinaus. Sicher kann man zu diesen Darlegungen unterschiedlicher Auffassung sein. Für mich als Physiker ist es eine gelungene Auseinandersetzung mit unbrauchbaren erkenntnistheoretischen Lehren. Schließlich steht außer Zweifel, daß eine extrem relativistische Haltung „der Vorstellung entgegensteht, die sich Wissenschaftler von ihrem eigenen Tun machen. Während sie danach streben, nach bestem Wissen zu einer objektiven Sicht (bestimmter Aspekte) der Welt zu gelangen, erzählen ihnen relativistische Denker, sie verschwendeten ihre Zeit, und ein solches Unterfangen sei prinzipiell eine Illusion. Dieser Konflikt ist grundlegend“; als Physiker, die sich lange mit den Grundlagen ihrer Disziplin und wissenschaftlicher Erkenntnisse insgesamt auseinandergesetzt haben, halten Sokal und Bricmont es für wichtig, den relativistischen Einwänden fundiert zu begegnen, wenngleich beide keinen Abschluß in Philosophie besitzen.

Dem Sinnieren über Relativität und Agnostik stellen sie die Auffassung gegenüber, von der jeder Naturwissenschaftler ausgeht, weil er sonst gar keine Möglichkeit sieht, Wissenschaft zu betreiben: Es existiert eine Welt außerhalb des eigenen Bewußtseins, und sie kann in ständig fortschreitender Näherung erkannt und verstanden, in vorhandene Gefüge eingebunden werden. Diese untereinander verwebten Theoriegebäude sind natürlich nicht heilig und unwandelbar, sondern werden im Forschungsprozeß ständig erweitert, umgeformt und entrümpelt.

Das vorliegende Buch hat eine aufschlußreiche Vorgeschichte. 1996 veröffentlichte die renommierte amerikanische Zeitschrift „Social Text“ einen Artikel von Alan Sokal „Die Grenze überschreiten: Auf dem Weg zu einer transformativen Hermeneutik der Quantenschwerkraft.“ (Er ist im Anhang des Buches noch einmal abgedruckt.) Kurz nach dem Erscheinen teilte Sokal mit, sein Artikel enthalte zahlreiche Zitate aus Texten bekannter französischer Denker, sei aber inhaltlich völliger Unfug und solle die sprachliche Darstellungsweise sowie die wissenschaftliche Fragwürdigkeit des einflußreichen französischen Poststrukturalismus parodieren. Das Gelächter darüber war fast ebenso groß wie das Erstaunen über das Gutachtergremium der Zeitschrift, das diese Arbeit kritiklos zur Veröffentlichung empfohlen hatte. Da die in der Parodie angeführten Zitate recht kurz waren, stellte Sokal später eine Reihe längerer Texte zusammen, um den Umgang der betreffenden Autoren mit den Naturwissenschaften zu illustrieren, und gab sie im Kreis seiner Kollegen herum. Ihre Reaktion war eine Mischung aus Belustigung und Entsetzen: Sie konnten kaum glauben, daß irgend jemand solchen Unsinn schreiben konnte. Schon gar nicht hielten sie für möglich, daß das berühmte Intellektuelle getan haben sollten. Wissenschaftliche Laien, die die Texte lasen, wiesen jedoch darauf hin, daß es notwendig sei, in allgemeinverständlicher Weise zu erklären, warum die zitierten Passagen eigentlich absurd oder sinnlos waren. Was als Scherz begonnen hatte, mündete bald in einen wütenden Streit zwischen Anhängern und Gegnern der Sokalschen Attacke. Sokal und Bricmont begannen daher, zu den Texten eine Reihe von Analysen und Kommentaren zu verfassen, aus denen 1997 „Eleganter Unsinn“ entstand, eine diesmal sehr ernst gemeinte Streitschrift. Das Buch wurde bald aus dem Französischen ins Amerikanische und 1999 auch ins Deutsche übersetzt. Sein schwerwiegendster Vorwurf gegenüber berühmten Intellektuellen lautet: Mit ihrem Verfahren haben diese eine ganz eigene Art intellektueller Einschüchterungsprosa hervorgebracht. Sie nivellieren den Unterschied zwischen „richtig“ und „falsch“ und beförderten damit einen irrationalen Begriff von Wissenschaft.

Allen, die über den heutigen „Zeitgeist“ nachdenken, auch wenn sie keine spezielle mathematisch-physikalische Ausbildung haben, kann das an zahlreichen Stellen übrigens auch recht vergnüglich zu lesende Buch ohne Vorbehalt empfohlen werden.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 08/01 (Internetausgabe) (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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