Eine Rezension von Bernd Heimberger

Nietzsche nachreden

Peter Sloterdijk: Über die Verbesserung der guten Nachricht
Nietzsches fünftes „Evangelium“.
Suhrkamp Verlag , Frankfurt/M. 2001, 70 S.

Alle hören jetzt Sloterdijk. Das gehört jetzt zum guten Ton, der nicht der aller ist. Zum guten Ton der Gebildeten gehört's schon, Sloterdijk zu hören, obwohl das Zuhören reichlich schwer fällt. Peter Sloterdijk hat das sportliche Temperament, um mit Tempo Theorien voranzubringen, so daß die Nachtrabenden atemlos werden. Das Tempo weckt die Vermutung, der Philosoph möchte nach dem lange angekündigten „Untergang des Abendlandes“ schnell noch den Untergang des Humanismus proklamieren, bevor der Planet Erde platzt. Alles nur Theorie?! Mit sicherem Sinn für Umstürze und Umstürzer sicherte Sloterdijk sich die Kanzel, um dem wirkungsvollsten Welt-Gottes-Bild-Zerstörer die Leviten zu lesen. Zum hundertsten Todestag an den Todesort gerufen, war Sloterdijk berufen, Nietzsche die Nach-Rede aller Nachreden zu halten.

Peter Sloterdijk fragte sich, im Namen der wenigen, die Nietzsche kennen, dennoch stellvertretend für alle: „... sollen wir auf Kommentare verzichten und Nietzsche lesen und wiederlesen?“ Wie selbstverständlich kommt der Kommentar, wenn der Philosoph dem Philosophen begegnet. Das funktioniert, wie der Stoffwechsel funktioniert, weil ohne Stoffwechsel nix funktionieren würde. Der Schlußsatz des Friedrich-Nietzsche-Fest-Requiems von Sloterdijk lautet: „Wir müssen uns den aufhörenden Autor als glücklichen Menschen vorstellen.“ Klingt wie eine Aufforderung, mit dem aufhörenden Autor aufzuhören. Um dann was zu werden? Ein glücklicher oder glücklicherer Mensch? Eventuell ist im Aufhören der Anfang, der die radikalste Selbstbefreiung einleitet, die die einzige Freiheit ist. Also auch die Freiheit gibt, sich von Nietzsche freizuhalten, der, wie Sloterdijk sagt, das „Fremdlob durch Selbstlob ersetzbar“ machte. Das, was einem schon immer stank, sobald man in die Nähe Nietzsches kam. War's tatsächlich nicht Fremdlob, war's tatsächlich Selbstlob, was Friedrich Nietzsche machte und ausmachte? Sloterdijk weiß: Es war „Selbstfremdlob“. Ein Philosoph hackt dem anderen nicht beide Augen aus. Brüllte der Redner zunächst aus hundertjähriger Distanz: „Ich möchte ... das Ereignis Nietzsche als eine Katastrophe in der Geschichte der Sprache beschreiben ...“, so legt er schließlich nicht klein, nicht laut fest: „... daß Nietzsche als Autor deutscher Sprache und europäischer Syntax den Höhepunkt erreicht hat.“ Um das zu beurteilen, sollten wir wohl wirklich Friedrich Nietzsche lesen und wiederlesen. Also doch auf Peter Sloterdijk hören? Er ist leichter zu lesen, als anzuhören. Sloterdijk lesen, damit einem das Hören nicht vergeht!


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 08/01 (Internetausgabe) (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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