Eine Rezension von Bernd Heimberger
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Populärster Prominenter

Gustav-Adolf Schur: Täve. Die Autobiographie
Verlag Das Neue Berlin, Berlin 2001, 256 S.

Es lebe die DDR! Sie lebe hoch, hoch, hoch! Lange hat keiner so kräftig gekräht wie der, den das Volk der DDR hochleben ließ wie keinen sonst. Gustav-Adolf Schur hat seine Autobiographie verfaßt, auch um „Recht und Würde für die DDR und ihre Bürger“ zu fordern. Täve ist der Titel der Erinnerungen, wie „Täve“ der Name war, den in der DDR jeder kannte. Der Radsportler Täve machte die unbekannte DDR in der Welt bekannt. Täve und die DDR sind ein Tandem. Schur gehörte zu den namhaftesten Personen in der Geschichte der DDR. Er war der populärste Prominente des Landes. Täve war, bevor die DDR da war.

Täve war der 1931 geborene Anhaltiner bereits auf dem Schulhof. Die Vorrede mitgerechnet, absolviert Schur in seinem Lebensbericht bis Seite 18, also auf 14 Seiten, alles, was zur Geburt, zum Zuhause, zur Schulzeit, zum Dritten Reich, zum Krieg, zu sagen ist. Das Autobiographische, auf das es Gustav-Adolf Schur ankommt, ist die Autobiographie Täves. Demonstrativ tritt er mit seinen Zeilen als „Kronzeuge für ein Kapitel DDR-Sportgeschichte“ in den Zeitzeugenstand. Als Zeitzeuge zeugt er vor allem für sich, für den Täve, der ein anderer ist als der, der in den Büchern von Uwe Johnson - Das dritte Buch über Achim - bis Thilo Köhler Gegenstand literarischer wie publizistischer Darstellungen wurde.

„Wichtig ist für mich, daß ich mir treu bleibe“, sagt der Autobiograph. Wort für Wort folgt er dem Treueschwur. Schurs Wahrheit ist immer die Wahrheit, die er sich sicherte und durchmachte, also gehabte Erfahrungen. „Sieger kann man nicht auf Ewigkeit ausschließen“, ist eine Grunderfahrung des Radsportlers. Anderthalb Jahrzehnte (1949-1964) aktiv, war er einer der erfolgreichsten, wenn nicht der erfolgreichste Amateursportler der deutschen Geschichte. Siegte Täve, siegte die diplomatisch kaum anerkannte und diskreditierte DDR. Die Sportnation DDR war eher in der Welt akzeptiert als der Staat DDR. Der Mann, der auf den Straßen der Welt wieder und wieder Triumphe feierte, wähnte sich auch auf der Straße der Geschichte in der Mannschaft der Sieger.

Schur war Mitglied des FDJ-Zentralrates und der SED, Jahrzehnte Abgeordneter der Volkskammer und im Präsidium des DTSB. Er war mehr als ein politisierter Sportler. Er war ein politischer Sportler. Als Sportler machte er Politik. Schurs Autobiographie ist die eines Politikers und Sportlers.

Es wird leicht, den temporeichen Sätzen des Täve zu folgen, der das Volksfest ‚Internationale Friedensfahrt‘ und seine Erfolge im Rahmen dieses größten Amateurradrennens feiert. Den Bundestagsabgeordneten der PDS auf dem Siegertreppchen zu sehen, wird schon schwerer, zumal sich Schur dieses Sieges wohl selbst nicht sicher ist. Ausgenommen, er kann von dieser Position aus etwas zu Ruhm und Ehre der DDR, sprich ihrer Sportgeschichte, einbringen, deren Teil Täve ist. Aber, wer hört ihm zu? Der Saal ist meist leer, wenn Schur spricht. Sport macht keinen Staat mehr und der Staat zu wenig Staat mit dem Sport. „Schnee von gestern aufbügeln?“ fragt Gustav-Adolf Schur. Seine Autobiographie war ihm ein Versuch wert.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 08/01 (Internetausgabe) (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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