Eine Rezension von Marianne Jonzeck
cover

„Er war Mensch in den schrecklichsten aller Zeiten ...“

Erika Rosenberg (Hrsg.): Ich, Oskar Schindler
Die persönlichen Aufzeichnungen, Briefe und Dokumente.
F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung, München 2000, 448 S.

Als im Oktober 1999 die „Stuttgarter Zeitung“ und in ihrem Gefolge andere Medien die international stark beachtete Nachricht verbreiteten, daß auf dem Dachboden eines Hildesheimer Wohnhauses ein Koffer mit dem schriftlichen Nachlaß Oskar Schindlers (1908 - 1974), eines vielgeehrten wie vielgeschmähten Mannes, gefunden worden sei, war dies bereits das Signal für spätere Veröffentlichungen. Der Inhalt des Koffers, Fotos und originale Schriftstücke, darunter die über Thomas Keneallys Buch Schindlers Liste und den gleichnamigen Spielberg-Film weltbekannt gewordene „Schindlers Liste“, ist für die Auseinandersetzung mit jüngerer Zeitgeschichte von unschätzbarem Wert. Darüber hinaus eröffnen diese persönlichen Zeugnisse, so die Herausgeberin, „völlig neue Einblicke“ in den Charakter und die sehr widerspruchsvoll verlaufende Lebensgeschichte Schindlers, die in Deutschland bezeichnenderweise erst 1983 durch die deutsche Erstveröffentlichung von Schindlers Liste des schon erwähnten Australiers Keneally öffentlich gemacht wurde.

Daß gerade Erika Rosenberg, die in Buenos Aires geborene Journalistin und Buchautorin, mit der Herausgabe und Kommentierung des Schindler-Nachlasses betraut wurde, war wenig überraschend. Als Mitautorin der Autobiographie Emilie Schindlers (unter dem Titel In Schindlers Schatten bei Kiepenheuer & Witsch 1998 in 4. Auflage erschienen), der Witwe Oskar Schindlers, hat sie sich in Deutschland einen Namen als Schindler-Biographin gemacht. Die wie Erika Rosenberg in Argentinien lebende Emilie Schindler übertrug ihr dazu „exklusiv die Rechte, sämtliche Unterlagen des in Hildesheim gefundenen Koffers schriftstellerisch zu verwerten“. Davon hat die Autorin, wie die opulente Auswahl beweist, Gebrauch gemacht. Trotzdem bleibt einer Anmerkung des Verlages zufolge die komplette Auflistung und Bearbeitung der Hinterlassenschaft Schindlers einer wissenschaftlichen Publikation vorbehalten.

Die Bandbreite der von Rosenberg ausgewählten, kommentierten und thematisch-chronologisch gebündelten Fundstücke reicht von sehr lebendigen und informativen Briefen Oskar Schindlers an Freunde in aller Welt, an Organisationen, Behörden, Firmen und Banken bis hin zu faksimilierten Geschäftsbilanzen, Vermögensverzeichnissen, Urkunden und Lageskizzen der Schindlerschen Deutschen Emailwarenfabrik (DEF) in Krakau. Ergänzend wurden 35 Fotos ausgewählt.

Ungeachtet dessen, daß die vorwiegend aus den Jahren 1957 bis 1972 stammenden Dokumente vor allem Einblick in die Lebenssituation Schindlers nach dem Krieg gewähren, spiegelt sich in fast allen die Kriegszeit wider. Im 1. Kapitel, betitelt „Die Kriegsjahre“, lebt noch einmal, jetzt im autobiographischen Detail, die Handlung des Oscar-gekrönten Films „Schindlers Liste“ auf. Drei Dokumente, unterschiedlich in ihrer Art, aber unerläßlich für die Wahrheitsfindung im biographischen Umfeld Schindlers, dürften die Aufmerksamkeit des zeitgeschichtlich interessierten Lesers voll in Anspruch nehmen: ein Brief Schindlers von 1951 an den Filmregisseur Fritz Lang mit wichtigen Auskünften über seine Erlebnisse, Taten und Handlungsmotive während des Krieges; ein ebenfalls von Schindler verfaßter Bericht über die von ihm erbrachten „Leistungen und Aufwendungen zur Rettung von Juden in der Zeit von 1939 bis 1945 ...“ sowie das Faksimile von „Schindlers Liste“ mit den Namen von über 1000 jüdischen Zwangsarbeitern, die das Ehepaar Schindler in einer heute kaum noch vorstellbaren Rettungsaktion vor dem Todestransport in die nationalsozialistischen Vernichtungslager bewahren konnte.

Viele dieser „Schindler-Juden“ bewahrten ihren Retter nach dem Krieg vor dem völligen existentiellen Ruin und setzten sich für entsprechende offizielle Würdigungen seiner Rettungstaten während des Krieges ein. Insgesamt ergibt sich aus der Dokumentation „das Bild eines Mannes, der nach Jahren des Reichtums in Kriegszeiten in Friedenszeiten immer wieder um seine nackte Existenz hat kämpfen müssen“. Unbekannt blieb bisher die kritische Auseinandersetzung Schindlers, eines stolzen und verletzlichen Mannes, wie Erika Rosenberg hervorhebt, mit der nachkriegsdeutschen Verdrängung „von KZ-Greuel, Judenverfolgung und Unrecht“. „Wen immer Sie sprechen“, schreibt Schindler 1948 an A. J. Levy, „keiner hatte mit den Grausamkeiten etwas zu tun, und man fragt sich nur, wo sind eigentlich die Urheber, die aktiven Nazis geblieben? In neuer Tarnung sitzen sie weiter in ihren einflußreichen Positionen, um bei der nächsten Auseinandersetzung wieder ‚Schicksal Europas‘ zu spielen.“

Und immer wieder deuten Textpassagen auf Schindlers „rauhe Lebensart“ hin, die dieser im übrigen niemals verleugnete: „Weit entfernt davon bin ich, ein Heiliger zu sein, habe als maßloser Mensch viel mehr Fehler als der große Durchschnitt derer, die so sehr gesittet durchs Leben schreiten. ‚Die Achtung vor dem Menschen‘ (A. Schweitzer) konnte ich mir erhalten und verteidigen.“

Nach der Lektüre dieses facettenreichen Bandes mag man die folgende, von tiefer persönlicher Enttäuschung getragene Meinung Emilie Schindlers nicht mehr teilen wollen: „Auf Oskar fiel nur das Licht, das die Geschichte für ihn vorgesehen hatte ...“ (zitiert aus In Schindlers Schatten, Kiepenheuer & Witsch, Köln 1997, S. 10)

Neben umfangreichen, leider nicht sehr rationell geordneten Anmerkungen und einem Personenregister enthält die Sammlung auch einen 1966 von Oskar Schindler selbstverfaßten, von der Herausgeberin laufend vervollständigten Lebenslauf.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 08/01 (Internetausgabe) (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

zurück zur vorherigen Seite