Eine Annotation von Marianne Jonzeck

cover Schütz, Hans J.:
Eure Sprache ist auch meine
Eine deutsch-jüdische Literaturgeschichte.
Pendo Verlag, Zürich/München 2000, 494 S.

Zweifellos wird auch diese literarhistorische Beschreibung des problembeladenen Weges der deutschsprachigen Literatur jüdischer Schriftstellerinnen und Schriftsteller, eine umfassend überarbeitete und erweiterte Neufassung des 1992 bei Piper erschienenen Buches Juden in der deutschen Literatur von Hans J. Schütz, erneut die Frage nach dem Begriff und dem Gegenstand der deutsch-jüdischen Literatur vor dem Hintergrund der von Anfang an brüchigen und 1933 endgültig gescheiterten „deutsch-jüdischen Symbiose“ aufwerfen. Definitive Festlegungen aber wird der Leser in dieser leicht zugänglichen Überblicksdarstellung, die sich in erster Linie um Information und sachliche Aufklärung bemüht, vergeblich suchen. In diesem Sinne, so der Autor in seiner Einleitung, sei die Abhandlung weniger als Beitrag zur wissenschaftlichen Diskussion zu verstehen. Dennoch greift das Buch, das „einem größeren Kreis Interessierter als Einstieg in die Thematik dienen“ soll, auf spezielle Weise in die Debatte über das Phänomen der deutsch-jüdischen Literatur ein. Eine von vielen möglichen Antworten liegt m. E. in der unvoreingenommenen Darstellung der Rolle deutschsprachiger Autoren jüdischer Herkunft in der deutschen Literatur unter Berücksichtigung der „politischen, sozialen und literarischen Rahmenbedingungen, die sie behinderten, begünstigten oder provozierten“. Ebenfalls könnten die reichlich zitierten und interpretierten jüdischen Selbstäußerungen zum Problem der jüdisch-deutschen Doppelidentität den öffentlichen Dialog über die mehrdeutige Frage, was deutsch-jüdische Literatur überhaupt bedeute, günstig beeinflussen.

Wirkungs- und rezeptionsgeschichtliche Aspekte der von Vorbehalten und Irritationen verschiedenster Art geprägten deutsch-jüdischen Literaturentwicklung werden von Hans J. Schütz keineswegs außer acht gelassen.

Ohne die deutsch-jüdischen Schriftsteller noch einmal isolieren oder gar verklären zu wollen, umreißt der Autor in 10 chronologisch geordneten Kapiteln die eng mit den Zentren Berlin, Wien und Prag verbundene Geschichte der deutsch-jüdischen Literatur von der Aufklärung bis zur unmittelbaren Gegenwart. Im Mittelpunkt stehen literarische Leistungen einzelner vor allem auf dem Gebiet der Belletristik sowie biographische Abrisse. Man begegnet dabei bekannten, unbekannten und bereits vergessenen Namen. Viele dieser Schriftsteller kommen aus den deutschsprachigen Kulturlandschaften und -städten Osteuropas.

Problematisch erscheint mir die sehr stark vom Kriterium der Meßbarkeit bestimmte Sicht des Autors auf den Anteil jüdischer Künstlerinnen und Künstler am Kulturleben im Rahmen seiner Auseinandersetzung mit nationalistischen und antisemitischen Äußerungen.

Im Vergleich zu der anfangs erwähnten Piper-Ausgabe von 1992 ist diese Edition benutzerfreundlicher geworden. Erweiterte Kapitelüberschriften, typographisch hervorgehobene Suchbegriffe im Textverlauf sowie ein ausführliches Personenregister tragen zur Übersichtlichkeit bei und bändigen etwas die Fülle der Zitate, Fakten und Anmerkungen. Eine gründlichere Lektorierung hätte dem Buch überdies gutgetan. Es eignet sich hervorragend als literaturgeschichtliches Nachschlagewerk und schließt, zusammen mit dem fast zeitgleich erschienenen Metzler Lexikon der deutsch-jüdischen Literatur (Metzler, Stuttgart/Weimar 2000, 664 S.), eine thematische Lücke.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 08/01 (Internetausgabe) (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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