Eine Annotation von Wolfgang Buth

Paselk, Mathias (Hrsg.):
Sagen und Geschichten der Stadt Brandenburg
Mit Illustrationen von Jan Beumelburg.
Hentrich & Hentrich, Teetz 1998, 78 S.

Die Stadt Brandenburg an der Havel kann auf eine lange, mehr als 1000 Jahre alte, wechselhafte Geschichte zurückblicken. Natürlich entstanden auch im Laufe dieser Zeit viele Sagen und Geschichten. Ob der Inhalt der Sagen völlig oder nur zum Teil oder gar nicht der Wahrheit entspricht – das bleibt offen und ist auch das Charakteristische für diese sagenhaften Geschichten. Fest steht, daß sie einen wichtigen Bestandteil unserer Brandenburger Literatur darstellen. Doch dies ist nicht allein der Grund für die Veröffentlichung dieser Sammlung. Der Herausgeber Mathias Paselk unternimmt mit seinen Sagen und Geschichten der Stadt Brandenburg den Versuch, auf einfache, leichte Art und Weise Verständnis bzw. Interesse für die Brandenburger Heimatgeschichte zu wecken. Ein weiterer Grund für die Veröffentlichung ist die Tatsache, daß es eine solche Zusammenfassung von Brandenburger Sagen und Geschichten bisher noch nicht gab.

Ein Blick auf den Stadtplan von Brandenburg zeigt, daß die eigentliche Stadt Brandenburg (mit Alt- und Neustadt sowie Dom-Insel), aber auch die umliegenden Ortsteile wie Görden, Plaue, Kirchmöser und Wilhelmsdorf von großen Waldgebieten umgeben sind und von der Havel durchflossen werden, die hier große Seen (Beetzsee, Breitlingsee, Möserscher See und Plauer See) bildet. Die von der Eiszeit geformte Landschaft regte natürlich die Menschen vergangener Jahrhunderte an, für die vorhandenen Landschaftsformen (sagenhafte) Erklärungen zu finden. Die Sagen „Die Entstehung des Marienbergs“, „Frau-Harke-Sagen“, „Der Hünenstieg“, „Die Entstehung des Zummelts“ sowie „Die Entstehung des Mariengrunds“ sind anschauliche Beispiele dafür, geographisch-topographische Gegebenheiten in der Brandenburger Landschaft volkstümlich zu deuten bzw. zu erklären.

In den historischen Sagen (u. a. „Wie der Kurmärker entstand“, „In heiligen Nächten“, „Bischof Dodilo“, „Quitzows letzter Kampf“, „Das Bild am Dom zu Brandenburg“ und „Der Roland zu Brandenburg“) kommt zum Ausdruck, wie der märkische Adel versuchte, sich die reiche Handels- und Kaufmannsstadt mit ihren vielen Kirchen (Dom, Katharinenkirche, Gotthardtkirche, Johanniskirche, Paulikirche) untertan zu machen. „Große Not“ (so der Titel einer Sage) herrschte im Mittelalter während der Kriegshandlungen. In der Sage „Habakuk Schmauch“ wird der gleichnamige Räuber, der die Kaufmannszüge zwischen Magdeburg und Ziesar überfällt, selbst überwältigt, nach Brandenburg geschleppt und auf das Rad geflochten. Nach der Hinrichtung wäscht sich der Scharfrichter die Hände in des „Büttels Handfaß“, einem in der Nähe der Richtstätte vorbeifließenden Bache, dem Büttelhandfaßgraben. (Eine kleine Straße in Brandenburg heißt heute noch so.) In der Sage „Altstädtische Hexen“ wird realistisch berichtet, daß in der Stadt Brandenburg bald nach Einführung der Reformation vierzehn Frauen als Hexen verbrannt wurden. Die Sage berichtet, welche Fragen gestellt und welche Mittel angewandt wurden, um Aussagen zu erpressen.

„Der Brandenburger Barbier Fritze Bollmann“ am Schluß des Buches ist keine Sage, sondern eine Geschichte. Überall kennt man das Lied, das den Brandenburger Barbier Fritze Bollmann besingt, der von 1852 bis 1901 lebte. Er ist jedoch nicht, wie das Lied berichtet, im Beetzsee ertrunken, sondern eines natürlichen Todes gestorben. Fritze Bollmann war weder ein Held noch ein Original. Er war ein freundlicher, gutmütiger Mensch, der alle Nöte und Beschwerden des Lebens kennengelernt hat und der mit seinem bescheidenen Einkommen als Friseur seine mit elf Kindern gesegnete Familie ernähren mußte.

Die von Jan Beumelburg geschaffenen Illustrationen zu den Sagen und Geschichten sind Kaltnadelradierungen, die mit ihren schwarzen und grauen Farbtönen die zumeist düsteren und schaurigen 32 Texte wirkungsvoll unterstützen. Das von Mathias Paselk herausgegebene Buch Sagen und Geschichten der Stadt Brandenburg vermittelt anschaulich Heimatgeschichte und interessante Einblicke in eine längst vergangene Zeit.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 08/01 (Internetausgabe) (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

zurück zur vorherigen Seite