Eine Annotation von Horst Wagner

Palmen, Connie:
Die Erbschaft
Roman.
Aus dem Niederländischen von Hanni Ehlers
Diogenes Verlag, Zürich 2001, 149 S.

Die 1955 geborene Connie Palmen, studierte Philosophin und Literaturwissenschaftlerin, gilt als die erfolgreichste holländische Schriftstellerin unserer Tage. Bereits ihr erster Roman Die Gesetze wurde zum Bestseller und zu einer Art Kultbuch der frühen 90er Jahre. Für den folgenden, Die Freundschaft, erhielt sie 1995 den renommierten holländischen Literaturpreis AKO. Die sehr persönlich gefärbte Liebesgeschichte „I. M.“ nannte die Frauenzeitschrift „Brigitte“ ein „Stück Literatur von atemberaubender Intensität“.

Wie in den vorangegangenen Büchern geht es auch in Die Erbschaft um eine außergewöhnliche Beziehung. Als die erfolgreiche, noch nicht 50jährige Schriftstellerin Lotte Inden erfährt, daß sie unheilbar krank und von zunehmendem körperlichen Verfall bedroht ist, sucht sie einen Pfleger. Sie stellt den 30jährigen homosexuellen Verlagslektor Max Petzler ein, „für rund um die Uhr, bei freier Kost und Logis“. Bald vertraut sie ihm an, daß sie ihn nicht nur als körperliche Stütze braucht. Vor allem soll er ihr „Erbgut“ betreuen, ihre auf dem Dachgeschoßspeicher lagernden Aufzeichnungen sichten und ihr helfen, einen großen Roman fertigzustellen: eine Geschichte darüber, „was jemand in der heutigen Zeit wissen kann, ... was alles auf einen einwirken und einen beeinflussen kann“. Denn es werde, sagt sie ihm, die Zeit kommen, da sie nicht mehr die Kraft habe, „die Handarbeit zu verrichten, damit aus den Gedanken greifbare Sätze werden“.

Die Erbschaft fasziniert nicht so sehr durch eine spannende Story oder ein breites Gesellschaftsporträt. Sie fesselt durch die subtile, manchmal ironische Beschreibung von alltäglichen und außergewöhnlichen Situationen. Durch die gedankenreichen Dialoge über Gott und die Welt, Liebe und Tod, Geschichte und Philosophie. Darüber, wie man leben soll und wie Literatur entsteht. Ganz zum Schluß und fast nebenbei erfährt man, daß sie ihn eines Abends gefragt hat, ob er nicht mit ihr ins Bett wolle, obwohl er doch eigentlich Männer bevorzuge. „Sie weinte, als ich zum ersten Mal mit ihr schlief, und ich habe mit ihr geweint, als ich sie zum letzten Mal liebte, und sie sagte, daß die Lust zwar noch in ihrem Kopf sei, sie aber nichts mehr fühlen könne. Das war wenige Wochen vor ihrem Tod ...“ Ein intimes Buch und doch ein weltläufiges, schlicht scheinend und doch voller Nachhaltigkeit.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 08/01 (Internetausgabe) (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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