Eine Rezension Volker Strebel

Die Distel steckt der Halde Schutt in Brand

Jan Zahradnícek: Vogelbeeren
Aus dem Tschechischen übertragen und mit einem Nachwort
versehen von Urs Heftrich.
Mit Illustrationen von Jirí Vincenz Slavícek.
Vitalis Verlag, Prag und Furth im Wald 2000, 80 S.

Es ist verdienstvoll, daß der Vitalis Verlag, noch dazu unter der kundigen Hand des Literaturwissenschaftlers Urs Heftrich, einen „Klassiker der Moderne“ präsentiert. Von Jan Zahradnícek lag in deutscher Übersetzung bisher lediglich der längst vergriffene Band Der Häftling Gottes aus dem Jahr 1984 vor, in welchem Nikolaus Lobkowicz das spätere Werk von Jan Zahradnícek vorgestellt hat. Die Dichtung Jan Zahradníceks verbindet sich in der tschechischen Literatur mit dem Begriff der „katholischen Moderne“, zu welcher auch bedeutende Namen wie Jakub Deml, Jan Cep oder Jaroslav Durych gezählt werden.

1933 war Jeráby erschienen und setzte sich so erfolgreich durch, daß einige Neuauflagen erfolgten.

Im Deutschen sind Jeráby Kraniche, aber auch Kräne oder Ebereschen - also Vogelbeerbäume. Urs Heftrich hat aus klanglichen Gründen „Jeráby“ mit „Vogelbeeren“ übertragen. Diese eigentümliche, aber legitime Vorgehensweise wirft ein Licht auf die Übersetzungen der vorliegenden Verse, die zweisprachig abgedruckt sind. Dabei kann nicht genügend betont werden, daß Jan Zahradníceks Verse eigentlich nur unter Verlusten in eine andere Sprache übertragen werden können, da vor allem die Sammlung Jeráby noch durch eine strenge Rhythmik gekennzeichnet ist.

Jan Zahradníceks Religiosität kommt in den Versen von Jeráby/Die Vogelbeeren noch nicht so expressiv zum Ausdruck wie in seinen späteren Gedichten. Deutlich spürt man den Einfluß des symbolistischen Dichters Otokar Brezina in dieser Verssammlung. Im Gedicht „Schreie“ besingt Zahradnícek ländliche Motive, und gleichzeitig schieben sich bereits Visionen dazwischen, welche das Vorgegebene überschreiten: „Ihr Ebenen, mit Dörfern besprengt, / ihr Türme und Pappeln, wiegt meinen Gedanken, / unruhig, wenn er nicht mehr Platz hat; / ihr Berge, die ihr über den Horizont wie Kamelherden schreitet / zu den Brunnen von Eden, nehmt mich mit!“ Es vermischen sich Farben, Düfte und Erinnerungen von Zahradníceks mährischer Heimat mit Ahnungen vom Schicksal und einer ungewissen Zukunft. Als vitalistischer Trost vertritt hier noch das Paradies mit seinem Garten Eden eine tröstende Zuversicht. In der späteren Dichtung wird Jan Zahradnícek aus einer tiefgläubigen Gottesbeziehung zunehmend Kräfte schöpfen. Noch aber sind existentielle Bedrohungen eher vage: „Du aber, Sonne, sollst glühen über Armeen von Ähren, / wenn um die Reife sie ringen, / und du, Orkanroß mit flatternder Mähne,/ sollst traben, bis die Schale der Stille zerspringt/ und der Vogel Sturm auffliegt ...“

Das Schicksal sollte den 1903 geborenen Jan Zahradnícek in brutalster Weise treffen. Die Stalinisten verhafteten ihn 1951, und ein Jahr später wurde er wegen „Teilnahme an einer gegen den Staat gerichteten Bewegung“ zu 13 Jahren Haft verurteilt. Ein ungeheurer Schlag gegen den zeitlebens kränkelnden Dichter, der zudem unter einer körperlichen Verwachsung litt. 1956 gewährten ihm die Machthaber einen Hafturlaub, nachdem seine Familie von einer Pilzvergiftung heimgesucht worden war. Im Gefängnis war er nicht darauf vorbereitet worden, daß zwei seiner Töchter bereits an der Vergiftung gestorben waren. Trotz der gegebenen Zusage der Behörden, den Hafturlaub auszudehnen, sorgten die Ereignisse des Ungarn-Aufstandes zu einer weiteren Restriktion. Jan Zahradnícek wurde wieder inhaftiert und erst im Jahr 1960 entlassen. Seine Freiheit konnte der schwerkranke Dichter, Zahradnícek hatte im Gefängnis zwei Herzinfarkte erlitten und mußte zu den Verhören zuweilen getragen werden, nur noch wenige Wochen genießen. Am 7. August 1960 starb er an einem Erstickungsanfall. Sechs Jahre später wurde seine Verurteilung offiziell als rechtswidrig aufgehoben.

Eines seiner Gedichte aus dem Band Jeráby/Die Vogelbeeren drückt die Sorgen von Jan Zahradnícek aus: „Doch diesen Gesang, wer wird ihn vollenden, mein Gott?“ Von der geistigen und geistlichen Verarbeitung, mit der Jan Zahradnícek seinem Schicksal begegnete, geht eine merkwürdige Beruhigung aus. Als tiefgläubiger Mensch hat er die Nachfolge Christi angetreten - und wunderbare Verse geschrieben. Sein Gesang ist vollendet!


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 06+07/01 (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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