Eine Rezension von Eberhard Fromm

Zwischen Autobiographie und Memoiren

Wolf Jobst Siedler: Ein Leben wird besichtigt
In der Welt der Eltern.
Siedler Verlag, Berlin 2000, 384 S.

Ganz am Schluß seines Erinnerungsbuches gibt sich der Autor „der Genugtuung hin“, die ersten zweiundzwanzig Jahre seines Lebens „aus der langsam undeutlicher werdenden Vergangenheit hervorgeholt zu haben“. Und obwohl er noch keine Fortsetzung verspricht, ist zu erwarten, daß dieser Lebensbesichtigung „in der Welt der Eltern“ nun bald eine „aus der Welt der Erwachsenen“ folgen wird.

Der Schriftsteller und Verleger Wolf Jobst Siedler (1926) läßt hier drei Lebensabschnitte Revue passieren: die Berliner Kindheit, die Schulzeit in Ettersburg und Spiekeroog mit dem dramatischen Ende der Verhaftung sowie die Soldaten- und Kriegsgefangenenzeit in Italien, Afrika und Großbritannien. Dabei geht er jedoch nicht im strengen Sinne chronologisch vor, sondern wählt eine Darstellungsweise - beinahe eine Manier - , die den Fluß autobiographischer Erzählung häufig und recht abrupt unterbricht. Es folgen dann zumeist Erinnerungen an spätere Zeiten, an Persönlichkeiten oder auch allgemeinere Überlegungen. Ebenso plötzlich ist man dann wieder in den dreißiger oder vierziger Jahren.

Es ist verständlich, daß in den autobiographischen Darstellungen die Verhaftung, Verurteilung und Gefängniszeit sowie die sich daraus ergebenden Konsequenzen als Soldat eine besondere Rolle spielen. Damit im Zusammenhang stehen auch die immer wiederkehrenden Erinnerungen an den Jugendfreund Jünger und dessen berühmten Vater, den Schriftsteller Ernst Jünger. Allerdings weist Siedler selbst mehrfach darauf hin, daß er gegenüber Kriegserinnerungen anderer eher mißtrauisch geworden sei. Vielleicht wäre dieses Mißtrauen auch gegenüber den eigenen Erinnerungen angebracht gewesen, so, wenn er die wohl doch zu kritisch dargestellten Stimmungen unter den Altersgenossen aus den Jahren 1943 und 1944 beschreibt.

Die Erzählungen vom Leben des jungen Wolf Jobst Siedler sind flüssig geschrieben, lesen sich interessant. Nachdenklich stimmen manche jener Einschübe, zu denen der Autor immer wieder kommt. Über die NS-Zeit wird z. B. sehr apodiktisch geurteilt, daß die Anhängerschaft Hitlers, „was immer die Forschung sagt (!), vorzugsweise aus dem Kleinbürgertum“ gekommen sei. Über den Krieg heißt es, daß die Besetzung Siziliens der Auftakt zur endgültigen Niederlage Deutschlands gewesen sei. Und ob es ein gelungener Vergleich ist, wenn die letzten Tage im Berliner Führerbunker als „Karl-May-Abenteuer“ und „absurdes Indianerspiel“ bezeichnet werden, ist mehr als fraglich. Erstaunlich ist auch die Unterscheidung zwischen „zur Herrschaft berufenen Imperien“ wie Rom, Großbritannien oder Österreich und Ländern wie Deutschland und Rußland, die andere nur unterwerfen und somit nicht zur Herrschaft berufen waren.

Probleme hat der Autor offensichtlich, wenn er sich an die Nachkriegszeit und die DDR erinnert. Da fällt der Vergleich zwischen Nazi-Deutschland, das „nur ein autoritäres Regime“ gewesen sei, und Ostdeutschland, wo das Regime „mit dem totalitären Anspruch Ernst macht“ recht seltsam aus; da wird behauptet, die „Illusion kultureller Vielfalt“ habe in Ostberlin nur wenige Jahre vorgehalten; Brecht wird mit Friedrich Wolf zu einem der „Renommierschriftsteller der Moskauer Emigration“ u. ä. m.

„Jeder liest das aus einem Buch heraus oder in ein Buch hinein, was ihn bewegt“, heißt es bei Siedler. Stimmt das wirklich? Ich wollte etwas aus jener bewegten Zeit zwischen 1926 und 1948 finden, dargestellt an einem einzelnen Lebensweg, und bin über die Ausbeute ein wenig enttäuscht. Dafür bin ich jetzt mit den Denkwegen des Wolf Jobst Siedler am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts vertrauter, was eigentlich nicht mein Ziel war, als ich dieses Buch aufschlug.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 06+07/01 (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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