Eine Rezension von Irene Knoll
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Mit Kalkül, Witz und Einfühlung

Ingrid Noll: Selige Witwen
Roman.
Diogenes Verlag, Zürich 2001, 268 S.

Ingrid Noll hat wieder zugeschlagen. Mit Kalkül, Witz und Einfühlung in die Dimensionen der menschlichen Seele schickt sie die bewährten Mordsmädchen Maja und Cora wieder ins Gefecht, besser ins Geflecht krimineller Übeltäterei, die durchaus ein paar Köpfe wert ist. Maja und Cora avancieren also ein bißchen, nämlich zu Rächern der unschuldig Verfolgten und Verkauften. Vorbei die Zeit des lustigen Mordseifers, da ein spontan gegen einen Hinterkopf geführter Schlag mit einer Weinflasche der Not weiteren Zusammenlebens mit einem Widerling wehrte. Sie kriegen es mit der Hamburger Rotlicht-Szene zu tun, also mit echten Gegnern, die ihrerseits keineswegs vor mörderischen Grobheiten zurückschrecken. Maja leidet Höllenpein, als die Gangster ihrer habhaft werden und sie gefesselt und verklebt in ihrer Wohnung zurücklassen, nachdem sie ihre Füße und Beine mit ihren Feuerzeugen versengten. Den Gedanken ans Sterben verwirft sie aber wieder, als ihr der Gedanke kommt, sie könnte bei Gott ihren einstigen Opfern begegnen, und so bietet sie ihm reuig an, im Falle ihrer Errettung als Altenpflegerin zu wirken. So fein ist Frau Nolls Humor.

Auf den hundertsechzehn Seiten, die dem Kidnapping vorangehen, hat sie die Verbindungen gestrickt, um nicht zu sagen, die Bande geknüpft, die Maja in ihre mißliche Lage brachten, aber auch daraus erlösten. Die Heiterkeit und Leichtigkeit, mit denen in ihren anderen Büchern die zartfingrigen Untaten dargeboten wurden, durchzieht hier die gesamte Szene und den Gang der Dinge von der ersten, tatsächlich mörderischen Idee Coras zu Beginn des Buches bis zur fast seriösen Verwirklichung des Plans durch Maja am Ende. Dazwischen passiert so viel, daß man an einen möglicherweise triumphalen Rück-Schluß gar nicht mehr gedacht hat, und dann ergibt er sich ganz unverhofft und sehr vergnüglich, und triumphal ist er für Maja.

Wie Ingrid Noll dieses Buch angelegt hat, das hat sehr viel Ähnlichkeit mit der Sorgfalt und Lust der Vorbereitung, die ihre Heldin Annrose in Röslein rot für ihre idyllischen Glasmalereien aufbringt. Und ein Anflug von Idylle ist sogar auszumachen in der Art, wie die jungen Männer der Studenten-WG, in der Maja Unterschlupf gefunden hat, die ritterlichen Pflichten ausüben, so daß Coras Bemerkung: „... dass du dich von insgesamt drei Männern befreien lässt! Mal ehrlich, findest du das nicht unter unserer Würde?“, weniger ernüchternd als vielmehr zersetzend wirkt. Einer der drei, die, Leib und Leben wagend, zu Majas Rettung in die Höhle des Löwen dringen, ist Felix, der hilfsbereite Enkel der betagten Charlotte aus Kalt ist der Abendhauch. Außerdem ist er der Halbcousin Coras, die sich nach kurzer Stippvisite bei ihrer Großmutter in einer der ihr eigenen egoistischen Begierden wieder nach Italien absetzt und die mittellose Maja ihrem Schicksal überläßt. Maja ist diese neuerliche Rücksichtslosigkeit der Herzensfreundin Anlaß, über ihre Rolle in ihrem Duo und über ihre bisherige Lebensweise überhaupt nachzudenken. „Was wollte ich wirklich? Bindung oder Freiheit? Abenteuer oder Sicherheit?“, das sind so Fragen, die sich auftun und den Wunsch wecken, Cora zu beweisen, daß sie auch ohne ihre Almosen auskommt. En passant begleitet der Konflikt zwischen den beiden das Geschehen, wird Maja auch durch kritische Auslassungen anderer zu unangenehmen Einsichten über ihre bisherige Lebensweise veranlaßt. Das Versprechen auf die Verseligung der Herren, dessen Einlösung man gespannt erwartet, ist also flankiert von der Angespanntheit der Beziehung zwischen den beiden und Majas Selbstreflexion. Schon fürchtet man, daß Trennung droht und die Fortsetzung des Lesespaßes aus Frau Nolls Boudoir gefährdet ist, aber dann werden auch Cora, die endlich auftaucht und die Frage nach Sein oder Nichtsein der Mädchenhändler und Kunstdiebe zur Lösung drängt, von der Autorin so menschliche Regungen von Mitleid mit einem Opfer und sogar Tränen des Entsetzens zugeschrieben, daß sich Maja wieder mit ihr versöhnt fühlt. Um so mehr will sie der Freundin durch Eigeninitiative imponieren, und das gelingt ihr denn auch.

Offenbar fand es die Autorin wichtig, das moralische Profil der Freundinnen ein wenig aufzubessern, damit sie nicht in den Ruch von Banditinnen geraten, womit sie vielleicht auch etwas von der Sympathie der Leser verlieren könnten. Außerdem dürfte sie an der Ausforschung von möglichen Profilierungen bei ihren Heldinnen mehr Spaß haben und sich eventuelle neue Dimensionen des erzählerischen Umgangs mit ihnen eröffnen. Immerhin artikulieren sie bereits moralische Grundsätze, natürlich in der Art der Moral, der dem Witz der beiden entspricht. Einer drückt sich in der Bemerkung aus: „Wir haben noch nie einen Mord geplant“, womit sie eine Art Unschuld spontanen Reagierens für sich reklamieren, oder aber, sehr geschlechtssolidarisch: „Wir morden keine Frauen.“

Auch die anderen Personen funktionieren nicht nur als Chargen, um den kühnen Damen dienstbar zu sein, sondern haben ein eigenes Leben und zeigen mit zunehmender Seitenzahl zunehmend Persönlichkeit und Initiative. Fast sind die jungen Leute der WG so etwas wie ein Gegenbild zu Maja und Cora, aber da Ingrid Noll Demonstrationen der Zeigefingerart nicht liegen, bleibt ein solcher Vergleich den Mitspielern innerhalb und außerhalb des Buches überlassen. Selige Witwen hat ein anderes Tempo als die ersten spektakulären Krimis von Ingrid Noll. In diesem Buch geht es zwar nicht beschaulicher zu, in gewisser Weise sogar eher waghalsig, aber ihre Art, Leute und Vorkommnisse zu betrachten und zu beschreiben, ist ungemein genüßlich. Daraus erwächst nicht nur eine Herz und Sinne des Lesers erfreuende Anschaulichkeit der banalen Dinge, die durch ihre beiläufige Ironie noch pointiert wird, sondern auch eine beträchtliche Raffinesse der Steigerung anscheinend nebensächlicher Ereignisse oder Wahrnehmungen zu größeren Wirkungen.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 06+07/01 (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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