Eine Rezension von Sven Sagé

Reden über Revolutionen

Peter Wende (Hrsg.): Große Revolutionen der Geschichte
Von der Frühzeit bis zur Gegenwart.
C. H. Beck'sche Verlagsbuchhandlung, München 2000, 391 S.

Einst, als ich das Kind noch war mit der Unschuld, alle Fragen zu stellen, fragte ich einen prominenten Politiker der DDR: Was ist eine Revolution? Die Antwort war: Das ist, wenn das Oberste zuunterst gekehrt wird! Nach kurzem Schweigen kam der Zusatz: Das aber haben wir hinter uns! Wie wahr! Wie unwahr! Die schlichte Definition im Sinn, muß das eine Revolution gewesen sein, was 1989/90 in der DDR geschah.

Die weitere Wahrheit ist: Revolutionen hat die Menschheit immer vor sich, wenn sie glaubt, die Revolution hinter sich zu haben. Die Geschichte ist eine Geschichte der Revolutionen. „Über große Revolutionen der Geschichte“ hat Peter Wende, derzeitiger Direktor des Deutschen Historischen Instituts London, ein Buch verfassen lassen. Der Herausgeber hat eine Gruppe versierter Wissenschaftler verschiedener Ressorts dazu gebracht, revolutionäre Ereignisse „Von der Frühzeit bis zur Gegenwart“ darzustellen. Der Englischen Revolution hat sich der Herausgeber selbst angenommen, der Tage der Pariser Kommune Beatrix Bouvier: eine Expertin französischer und deutscher Proletariergeschichte. „Die 89er Revolution in der DDR“ wurde dem in Bautzen geborenen Sorben Hartmut Zwahr überlassen, der an der Leipziger Universität studierte und lehrt. Die einführende Zeittafel und eine optische Darbietung wichtiger „Revolutionsparolen“ unberücksichtigt gelassen, hat der Verfasser 14 Buchseiten zur Verfügung. Die Geschichte der „Revolution in der DDR“, „dieser demokratischen Revolution“ war für den Sozial- und Wirtschaftswissenschaftler „,in allem ... beispiellos und neuartig“. Was heißt, daß die „friedliche, politische Revolution“ à la DDR eine Revolution neuen Typs war? Die welche Merkmale hat? Charakterisierung, Analyse sind nicht das Wesen des Textes. Fakten, Fakten, Fakten fassen zusammen, was war im Jahr 1989, wo DDR war. Verdichtung ist nicht automatisch Differenzierung. Überraschend wird für viele sein, daß sich der Beginn der „Herbstrevolution“ inzwischen aus der Sommerzeit ins Frühjahr verschoben hat. Die „3. Ökumenische Veranstaltung für ,Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung`“ - 26. 4.- 30. 4. 1989 - in der Modrow-Stadt Dresden wird in der Chronik als Auftaktveranstaltung der „Revolution“ markiert. Manchem DDRler begann das ganze Gären bereits im November 1976, als Wolf Biermann aus dem Ländchen rausgehalten wurde. Lehrreicher noch ist die Chronik der „68er Revolution“. Ihr Anfang wird auf das Jahr 1954 zurückdatiert. Ihren Ursprung hat sie im Aufbegehren der schwarzen Bürger der USA. Wem ist noch gegenwärtig, daß die Attentate auf Martin Luther King und Rudi Dutschke im Zeitraum einer Woche stattfanden? Gut fürs Gewissen der West-Deutschen, daß sie eine eigene Revolution in der eigenen Geschichte hatten. Vorausgesetzt achtundsechzig wie auch neunundachtzig waren Revolutionen. Was schwerfällt zu akzeptieren, wenn man weiß, wie viele Sowjets - von Sacharow bis Kopelew - „die bolschewistische Revolution“, sprich Oktoberrevolution, für einen Putsch der Lenin-Partei hielten. Eine Tatsache, die Dietrich Beyrau nicht ignoriert. Zuständig für das Kapitel Oktoberrevolution, referiert er plausibel über Leninsche Revolutionsstrategie, was ihn schließlich veranlaßt, ebenfalls von einem Umsturz zu sprechen, der der Revolution vom Februar 1917 folgte. Die ist aber kein Thema des Buches. Darüber dann, eventuell, mehr im neuen nächst-besseren Buch. Oder, wenn wieder was von oberst zuunterst gekehrt wird. Demnächst! Irgendwo! Und die „kleinen Revolutionen“? Man darf ja wohl mal fragen!


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 06+07/01 (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

zurück zur vorherigen Seite