Eine Rezension von Karl-Heinz Arnold
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Auf dem Weg zu Europa

Joseph Rovan:
Erinnerungen eines Franzosen, der einmal ein Deutscher war
Aus dem Französischen von Bernd Wilczek.
Carl Hanser, München 2000, 527 S.

Joseph Rovan, gebürtiger Münchner des Jahrgangs 1918, stammt aus einer großbürgerlichen jüdischen Familie. Er hat sich nie als Jude gefühlt und verstanden, wie er schreibt. Seine frühe Jugend hat er in Wien und Berlin verbracht. 1934 kam er zu seinen Eltern, den Rosenthals, die sich bereits in Paris befanden. In Frankreich war er in der Résistance, wurde verhaftet und nach Dachau gebracht, seine jüdische Abstammung konnte er verbergen. So überlebte er das KZ. Erst 1992 erschienen seine Geschichten aus Dachau. Zu der Zeit war er längst Franzose. Schon in jungen Jahren hat Rovan sich als Franzose gefühlt und verstanden. Er war Journalist, hat französischen Politikern gedient und sie beraten, in der Politik mitgemischt, wie man so sagt. Ende der 60er Jahre begann er an der Sorbonne deutsche Geschichte zu lehren. Bei Hanser ist 1995 Rovans Geschichte der Deutschen erschienen.

Die Originalausgabe des vorliegenden Buches (Paris 1999) weicht im Titel geringfügig von der deutschen Ausgabe ab. Übersetzt lautet der französische Titel: „Memoiren eines Franzosen, der sich erinnert, Deutscher gewesen zu sein“. Ein subtiler, von Weisheit des Alters zeugender Hinweis darauf, daß Rovan seine erste Nationalität nicht verdrängt hat oder leugnen möchte, aber sie zeitlich und mental im Hintergrund eines langen bewegten Lebens sieht: Er erinnert sich noch ... Was Deutsche ihm angetan haben, wird weder mit Bitterkeit geschweige denn mit Haß vergolten. Eher neigt Rovan zu Milde, bevorzugt Fakten statt Emotionen.

Man wird dieses Buch, dessen gedanklicher Reichtum sich dem Leser nur allmählich erschließt, nicht beenden können, ohne sich von manchen Ansichten des Autors zu distanzieren oder sie in Frage zu stellen. Dies jedoch macht einen Teil des Reizes aus, den die Lektüre bietet. Der Autor fordert - sicherlich ungewollt - zu nachdenklicher Zustimmung oder anregendem Widerspruch heraus. Auch in dieser Hinsicht stellen sich die Kapitel, die das deutsch-französische Verhältnis, die bundesdeutsche Nachkriegspolitik sowie Begegnungen mit (west-)deutschen Politikern, einem besonderen Interesse des deutschen Lesers.

Da sind beispielweise „einige Herren in Bonn“. Zu ihnen gehören Herbert Wehner, Carlo Schmid, Helmut Kohl, dessen unrühmlicher Abgang dem Verfasser kaum erwähnenswert ist, aber auch ein Hans Globke; „der so umstrittenen rechten Hand des Kanzlers Andenauer“ widmet der einstige KZ-Häftling Rovan erstaunlich tolerante Worte. Er habe mit Globke interessante Gespräche gehabt und gab sich „voll und ganz damit zufrieden“, daß Adenauer nichts gegen den Kommentator der Judengesetze unternommen habe, als dessen Rolle publik wurde. Kanzler Kiesinger, ebenfalls ein Mann mit Nazi-Vergangenheit, wird gänzlich unkritisch dargestellt, lediglich mit einem dezenten Hinweis auf seine Eitelkeit versehen. Die blamable Rolle des Polit-Idioten Lübke ist für Rovan nur Anlaß zu Heiterkeit.

Streckenweise reduziert er die Welt recht simpel auf Emotionales und Äußerlichkeiten, wo ein Hinweis auf Rationalität und speziell bei menschlichen Bindungen - auf die Übereinstimmung von gesellschaftlichen Positionen, politischen Interessen und Ideologie zu erwarten wäre. Eines von zahlreichen Beispielen ist seine Beziehung zu Baron Karl Theodor Guttenberg, von Rovan bewunderter erzkatholischer Sproß aus altem Adel, kurzzeitig Kanzleramtsminister bei Kiesinger: „Auf der Grundlage unserer gemeinsamen Vorliebe für Dackel sollte sich zwischen uns eine tiefe Freundschaft entwickeln ... Durch unsere Gespräche über Dackel ... spürten wir, daß wir dafür geschaffen waren, Freunde zu werden.“

Unverkennbar, daß Roman im Laufe der Jahrzehnte auch von Herzen Franzose geworden ist. Mehrfach verrät er sogar eine kleine Übereinstimmung mit dem Mythos der Grande Nation. Keineswegs vertritt er den historisch entstandenen Machtanspruch Frankreichs etwa expressis verbis, aber die Naivität beispielsweise, mit der er das Ende der französischen Truppenpräsenz in Deutschland bedauert, ist doch bemerkenswert:

Nach dem 1966 von de Gaulle beschlossenen Austritt Frankreichs aus den integrierten militärischen Strukturen der NATO habe die Gefahr bestanden, daß Frankreich alle seine in Deutschland stationierten Truppen abziehen mußte. In dieser Situation habe er, Rovan, an einem Kompromiß mitgewirkt, wonach „die französische Truppenpräsenz in den in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz gelegenen Garnisonen um mehr als dreißig Jahre verlängert werden“ konnte. Und nun der verblüffende Kommentar zum Ausbleiben einer weiteren Verlängerung der Truppenstationierung: „Angesichts der engen Beziehungen zwischen den beiden Staaten, die auch auf diesem langjährigen Zusammenleben basierten, kann man die Leichtfertigkeit, mit der die französischen Entscheidungsträger beschlossen haben, diese Präsenz 1996 zu beenden, nur bedauern.“ Fügen wir zur Aufhellung dieser harschen Kritik hinzu, daß der Memoirenschreiber den Entscheidungsträger Mitterrand partout nicht leiden konnte, wie er mehrfach erkennen läßt.

Es gibt zahlreiche Hinweise auf die Widersprüchlichkeit in der Person, im Denken, in der politischen Parteinahme des Joseph Rovan. So näherte er sich als entschiedener Gegner des französischen Kolonialkrieges in Vietnam zeitweilig den Kommunisten, findet aber kein Wort gegen den mörderischen Feldzug der USA in der Nachfolge Frankreichs. Im Schlußkapitel seines Buches jedenfalls räumt Rovan ein, daß ihm die Sinnlosigkeit der „Sehnsucht nach der großen Weltmachtstellung Frankreichs“ bewußt geworden ist. Er bekennt sich zu einem geeinten Europa. Dabei vergißt er nicht, wiederum ganz Franzose, „das einfache Hinnehmen eines amerikanischen politischen Protektorats und einer wirtschaftlichen Vorherrschaft der Vereinigten Staaten abzulehnen“ und fordert ein auf Gleichberechtigung basierendes Verhältnis zu den USA.

Bei vielen seiner Landsleute, wie auch bei anderen Europäern, wird Rovan auf Ablehnung stoßen, wenn er verkündet: Es ist offensichtlich, daß Englisch - die Sprache der Vereinigten Staaten von Amerika - „die gemeinsame Sprache Europas sein wird“. Was er zur Begründung dieser Ansicht sagt, läuft auf eine nicht nur linguistische Kapitulation vor der Weltmacht USA hinaus. Es bleibt offen, ob hier ein Europa gemeint ist, das bis zum Ural reicht, und ob der Verfasser sich wirklich vorstellen kann, daß die Amtssprache im Pariser Rathaus dereinst das Idiom der Familie Bush sein wird.

Halb resignierend, halb scherzhaft jedenfalls nimmt der Franzose Abschied von der alten Rolle seiner Sprache, die zumindest in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts dominierend war: „Sicher hätte ich es begrüßt, wenn Französisch die Universalsprache wäre, aber wir haben Québec verloren und Louisiana verkauft, und wir sind nicht mehr die erste Militärmacht der Welt.“


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 06+07/01 (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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