Eine Rezension von Marianne Jonzeck

Der Londoner Prozeß um David Irving

Eva Menasse: Der Holocaust vor Gericht
Siedler Verlag, Berlin 2000, 191 S.

„Falls die Holocaust-Leugnung irgend etwas demonstriert, dann die Verletzlichkeit von Erinnerung, Wahrheit, Vernunft, Geschichte“, resümiert die US-amerikanische Historikerin Deborah E. Lipstadt in ihrer erstmals 1993 in den USA erschienenen wissenschaftlichen Abhandlung Denying the Holocaust. The Growing Assault von Truth and Memory (hier zitiert aus der deutschsprachigen Erstausgabe unter dem Titel Betrifft: Leugnen des Holocaust, Rio Verlag, Zürich 1994, S. 262). Sehr deutlich wurde dieses im Verleumdungsverfahren „Irving vs. Lipstadt“ vor dem Obersten Gericht in London, das zu klären hatte, ob Lipstadts Behauptung, daß der „Selfmade-Historiker“ David Irving „eines der gefährlichsten Sprachrohre für die Holocaust-Leugnung“ (ebenda, S. 220) sei, einer Rufschädigung gleichkomme. Nach dreimonatiger Prozeßdauer fiel am 11. April 2000 das Urteil. Das Gericht entschied: David Irving ist ein „Rassist, ein Antisemit, ein Holocaust-Leugner und absichtlicher Fälscher historischer Fakten“. Nichts charakterisiert den Kläger Irving so sehr wie die von Eva Menasse geschilderte kurze Szene aus dem Gerichtssal, in der er im Übereifer den Richter „mein Führer“ nannte.

Der rechtsgerichtete Publizist und Redner David Irving hat seine Klage gegen Deborah E.Lipstadt, ihr Buch und ihren Verlag verloren. Vor allem die Historiker, die angesichts des diffizilen englischen Rechts in Verleumdungsfällen um den Ausgang des Prozesses fürchten mußten, konnten und können aufatmen, denn nach diesem Gerichtsfall ist nach Einschätzung Eva Menasses „auf viele Jahre das Thema Holocaust-Leugner als wissenschaftliche Herausforderung erledigt. Zu den Thesen der Leugner und ihrer Widerlegung ist alles gesagt.“

Die Wahrnehmung des Londoner Gerichtsverfahrens in den deutschen Medien hielt sich in Grenzen. Informationen über Vorgeschichte, Verlauf und Ausgang des Prozesses flossen recht spärlich. Gründe vor allem politischer Natur, u. a. die Scheu vieler Historiker und Journalisten davor, dem Geschichtsklitterer Irving und seinesgleichen zuviel öffentliche Beachtung zu schenken, mögen dafür ausschlaggebend gewesen sein. Gut bedient waren die Leser der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Für sie berichtete aus London die in Wien geborene Journalistin Eva Menasse. Ihre bildhaften, psychologisch genauen und angenehm distanzierten Londoner Gerichtsreportagen wurden für diesen Band überarbeitet und im Kapitel „Der Prozess“ zusammengefaßt. Zweifellos bilden sie das Herzstück des Buches. Weit skizzenhafter sind dagegen andere Textbeiträge: Kurzporträts von David Irving und Deborah E. Lipstadt sowie essayistische Texte, in denen sich die Autorin über ihre Rolle als Prozeßbeobachterin und Reporterin hinauswagt und eigene Positionen vertritt. Unwillkürlich wird man an die Kontroverse zwischen Martin Walser und Ignatz Bubis erinnert, wenn sie z. B. im Zusammenhang mit den Auswirkungen des Prozesses auf die gegenwärtige Holocaust-Forschung und die verschiedenen Formen der Erinnerungsarbeit die brisante Frage nach der „Dogmatisierung“ des Holocaust aufwirft oder Zweifel an der deutschen und österreichischen Gesetzgebung äußert, die das Recht der Holocaust-Leugner „auf freie Meinungsäußerung“ beschneide.

Die den chronologisch geordneten Reportagen vorangestellten Porträts der beiden Antagonisten werden nicht in jedem Fall den Leser zufriedenstellen. Beginnt man die Lektüre z.B. mit dem bereits erwähnten Kapitel „Der Prozess“, in dem Irvings spektakuläre Auftritte vor Gericht und seine irrigen Argumente gegen die Realität des Holocaust und die Existenz von Gaskammern in Auschwitz-Birkenau enthüllt werden, fragt man sich, warum die Autorin so prononciert die Psychologie bemüht, um Irvings antisemitisches Denken und Verhalten zu ergründen. Eva Menasses Versuch, „Irvings charakterliches Fundament“ aus seiner freud- und vaterlosen Kindheit heraus erklären zu wollen, überzeugt mich nicht.

Um sich ein einigermaßen abgerundetes Bild von der wissenschaftlichen Leistung und der Persönlichkeit Deborah E. Lipstadts machen zu können, wäre die ergänzende Lektüre der anfangs erwähnten Studie der Holocaust-Forscherin aus Amerika erforderlich. Erst dann wird der Leser zuverlässig darüber urteilen können, ob ihrer Publikation, einer wissenschaftlich-fundierten Auseinandersetzung mit Thesen und Methoden der international agierenden Holocaust-Leugnung, wirklich eine nach Eva Menasse „gefährlich selbstsichere Moral“ unterliegt.

Das Buch Der Holocaust vor Gericht wird nicht das einzige zum Irving-Prozeß in London bleiben. Eva Menasse informiert darüber, daß Deborah E. Lipstadt schon an ihrem persönlichen Erlebnisbericht schreibe. Weitere Publikationen sind zu erwarten.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 06+07/01 (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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