Eine Rezension von Eberhard Fromm

Gegen das Mittelmaß

Klaus-M. Kodalle (Hrsg.): Der Ruf nach Eliten
Kritisches Jahrbuch der Philosophie.
Beiheft 2/1999.
Verlag Königshausen & Neumann, Würzburg 2000, 155 S.

Die hier versammelten Texte entstammen dem „Thüringentag für Philosophie“ des Jahres 1998, veranstaltet von der Thüringischen Gesellschaft für Philosophie. Neben dem Grußwort des Ministerpräsidenten Bernhard Vogel enthält der Sammelband 13 Beiträge, die sich zu verschiedenen Problemstellungen der Frage nach den Eliten in der modernen Gesellschaft äußern.

Der Jenenser Philosophieprofessor Kodalle eröffnet den Reigen mit zwei Beiträgen, in denen er den „Ruf nach Eliten“ thematisiert und sodann die Elite-Idee an ausgewählten Beispielen aus der Philosophiegeschichte behandelt. Dabei reicht das Spektrum von der Antike bis Kierkegaard und Nietzsche. Widerspruch fordern dabei einige Passagen heraus, in denen sich der Autor mit der Aufklärung auseinandersetzt. Daß die Verbindungen der Aufklärer „vielfach den Charakter von religiösen Geheimbünden“ annahmen, wozu die Berliner Mittwochsgesellschaft als ein „ganz herausragendes Beispiel für geheime Verbindung“ gerechnet wird, daß „die Aufklärer keine Bedenken trugen, sich zum Vormund des Volkes zu erklären“, und daß ihr Wirken in Geheimbünden „die Lust, Herrschaft auszuüben“, ebenso verrate wie das „Machtbedürfnis, das in der realen Welt nicht zum Zuge kommen konnte“ - das alles sind zumindest übertriebene Wertungen, und auf die Berliner Aufklärer passen sie ganz und gar nicht.

Peter Glotz als Gründungsrektor der Erfurter Universität und der Politikwissenschaftler Heinrich Oberreuter wenden sich der Frage zu, wieviel Elite denn die Demokratie vertrage und benötige. Die Grundaussagen von Glotz laufen darauf hinaus, daß die deutschen Eliten leider streng getrennt agieren und viel zu wenig miteinander kooperieren. Oberreuter betont, daß Stabilität und Zukunftsfähigkeit der Demokratie von den Eliten abhängen; seine Einschätzung der gegenwärtigen Eliten, vor allem der politischen Führungsschicht, ist aber alles andere als hoffnungsvoll.

Nach einer Abwägung zwischen Elitenkonkurrenz und Elitenkooperation des Theologen Eilert Herms geht es in den Beiträgen des Philosophen Jürgen Mittelstraß aus Konstanz und des Hamburger Rechtswissenschaftlers Ingo von Münch um die Frage nach der Leistung. „Wo das Durchschnittliche in der Wissenschaft Normalität wird, verliert Wissenschaft ihre Idee“, heißt es prononciert bei Mittelstraß. In den abschließenden Beiträgen werden Beziehungen des Eliteproblems zur Erziehung (Bernhard Bueb, Annemarie von der Groeben), zu Führungskräften (Albin Graeser, Klaus Schindlbeck) und zur Kirche (Hartmut Löwe) behandelt. Den Abschluß bildet ein Aufsatz des Karlsruher Philosophen Hans Lenk über die Eliteidee im Hochleistungssport.

Jeder Beitrag für sich und alle zusammengenommen belegen recht deutlich, daß man in der Bundesrepublik Deutschland noch weit entfernt ist vor den Forderung, die Bernhard Vogel in seinem Grußwort an die Tagung erhob: „Wir brauchen ... eine ,bekennende‘ Elite, die Bereitschaft zur Leistung und zur Wahrnehmung von Verantwortung zeigt und die sich den großen Aufgaben innerhalb der Demokratie nicht verschließt ...“


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 06+07/01 (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

zurück zur vorherigen Seite