Eine Rezension Björn Berg

Bild der Bilanzierer

Eckhard Jesse (Hrsg.):
Eine Revolution und ihre Folgen
14 Bürgerrechtler ziehen Bilanz.
Ch. Links Verlag, Berlin 2000, 328 S.

Eine schmort nicht im eigenen, ranzig riechenden Saft! Bärbel Bohley redet nicht. Sie tut was, wo es in Europa nottut. Seit Jahren arbeitet Bohley auf dem Balkan. Keine Zeit also fürs Bilanzieren!? Das hat die „Mutter der Revolution“ - o je! - der Familien-Bande überlassen. Ziehen „14 Bürgerrechtler“ Bilanz, kommt ein Buch mit dem gloriosen Titel Eine Revolution und ihre Folgen. Vermutlich denkt und fühlt Bohley wie Edelbert Richter, der im Umfeld von Eppelmann, Schorlemmer und Schnur agierte. Für Richter hat nichts eine solche Kontinuität seit 1989 wie die Folgenlosigkeit. - „Als hätte es 1989 nicht gegeben.“ Die Kirchenmänner Eppelmann und Schorlemmer verteidigen selbstverständlich, selbstbewußt den erstrittenen Bürgerrechtler-Posten. Auf keiner Kanzel einer Kirche stehend, bekamen die Protest-Pastoren und bürgerbewegten Kameraden die Chance, hinter die Kanzel eines Hörsaals der TU Chemnitz zu treten, um darüber zu räsionieren, zu reflektieren, wie das war mit der „Revolution“ - und was wurde.

Eingeleitet werden die Erlebnis-Erinnerungen durch den Beitrag von Jens Reich, der nicht nur seiner wissenschaftlichen Profession wegen einer der wenigen intellektuellen Analytiker in den Reihen der Bürgerrechtler war. Einer von der Qualität eines Wolfgang Ullmann, der - wie kommt's? - ebenfalls auf dem Gruppenbild der Bilanzierenden fehlt. Reichs ruhiger, verallgemeinernder Vortrag steht für die Mehrzahl der besonnenen wie besinnlichen Beiträge. Zeitgeschichtliches wird nicht getrennt von persönlichen Geschichten in der Zeit. Reden über die DDR heißt nicht, die DDR zu rechtfertigen, sich doch von der simplen Formel zu distanzieren, die DDR war die „zweite deutsche Diktatur des 20. Jahrhunderts“. Die Erinnernden haben ihre Erinnerungen nicht in die speckigen Annalen eingetragen, die ihnen die Historiker hinhielten. Desto weiter die Leser mit der von Eckhard Jesse herausgegebenen Sammlung der Bilanzen kommen, desto stärker wird die Gewißheit, ein Zeit-Geschichts-Betrachtungs-Lese-Buch in der Hand zu haben, das professorale, seminaristische Schriften in den Schatten stellt. Die Leser spüren den Puls des Lebens, der auch in der Geschichte mal schneller, mal schwächer geht. Könnten Historiker nur zur Kenntnis nehmen, was Menschen zu sagen haben, die sagen können: Wir sind dabeigewesen! Egal, was wir von dem halten, was wir von dem einen oder anderen zu hören bekommen, Original ist Original. Kein Historiker-Secondhand!


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 06+07/01 (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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