Eine Rezension von Bernd Heimberger

Chancen eines Chamäleons

Diether Huhn:
Auf beiden Seiten der Spree und andere Spaziergänge in Berlin
Koehler & Amelang, München 2000, 308 S.

Schade, zu schade, daß Diether Huhn nicht mehr auf den Straßen Berlins unterwegs ist. Er war ein Stadtstreicher der noblen Art, ein Stadtspaziergänger mit dem Sinn fürs Versteckte. Aufmerksam für alles Äußere, das ihm nicht Äußerliches war, erlief sich der in Thüringen geborene Jurist sein Berlin. Was von seinen Tippeltouren blieb, sind einige Textbände. Ein weiterer ist nun posthum erschienen. Der Band Auf beiden Seiten der Spree und andere Spaziergänge in Berlin ist die Zusammenfassung der Stadt-Landschafts-Berichte des letzten Lebensjahres des Stadtläufers Diether Huhn (1935- 1999). Der Spaziergänger verteilt keine Sternchen für Vorzüge im Vorzeige-Berlin. Schreibt Huhn: „Hellersdorf ist ein wohlerzogener und junger Bezirk“, so hat er das notiert mit Verlaß auf seine subjektive Wahrnehmung, sein subjektives Gefühl, sein subjektives Erwägen. Huhn nimmt die Leser nicht fürsorglich an die Hand. Er zieht sie nicht wie einen Touristentroß durch die Gegend. Huhn erzählt nicht wild drauflos, jedem Gag hinterhergierend. Er erzählt gezügelt-temperamentvoll. Voll aufs gewählte Thema, sprich Tatsachen, konzentriert. Alles aufrufend, was er erlaufen, ersehen, erlesen hat. Selbsterfahrenes und Angenommenes zu kombinieren macht die gute Mischung. Huhn ist kein professioneller Stadtführer. Der Wanderer gibt sich wie ein vertrauter Verwandter, dem man sich blindlings anvertraut, weil er alles weiß, wie man weiß. Auf Schritt und Tritt durch die Stadt begleitend, verhindert er, daß Einheimische und Angereiste achtlos um all die Ecken zockeln, die fürs Beachten und Entdecken da sind. Berlinisches entdeckt am ehesten, wer Berliner Geschichten kennt. Was nicht verlangt, ständig in die Vergangenheit zurückzulaufen. Jede Begegnung mit Berlin beginnt in der Gegenwart. Loslaufen in der Stadt heißt nicht nur auf Schusters Rappen durch die Straßen, um die Häuser, über die Brücken zu ziehen. Heißt per Bus oder auf sämtlichen Schienen von S-, U- und Straßenbahn durch Berlin zu kutschieren. So ist auch zu erfahren, daß Bus und Bahnen eine eigene Welt in der Berliner Welt sind. Diether Huhns Tagestexte machen Laune auf die Weltreise in der Weltstadt Berlin. Von einem Ufer auf das andere wechselnd. Grenzüberschreitungen noch und noch. „Berlin ist ein Chamäleon.“ Das ist einer der schönen Sätze des Diether Huhn. Die vielen Farben der Stadt haben seine Bücher bunt gemacht.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 06+07/01 (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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