Eine Rezension von Kathrin Chod
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Neue Kirchen braucht das Land?

Werner Schwipps: Die Garnisonkirche Potsdam
be.bra verlag, Berlin 2001, 134 S.

Seit 1968 ist die Garnisonkirche aus dem Potsdamer Stadtbild verschwunden, und doch widmet sich das vorliegende Buch einem höchst aktuellen Thema: Nachdem das Fortunaportal des Potsdamer Stadtschlosses derzeit wiederentsteht, scheinen auch die Chancen für die Errichtung zumindeste des Turms der Kirche gewachsen, und bereits seit 1991 erinnert ein Glockenspiel an den Sakralbau. Werner Schwipps legt mit diesem Buch zum drittenmal die Geschichte der Kirche vor. 1964 erschien sein erstes Buch bei Haude & Spener, 1991 ein zweites bei arani und nunmehr aus Anlaß des Preußenjahres das dritte beim be.bra verlag. Schwipps erzählt die Geschichte der 1732 eingeweihten Kirche, angefangen mit ihrem Vorgängerbau von 1721 bis zur Zerstörung des Barockbaus im Zweiten Weltkrieg und dem späteren Abriß der Ruine. Dem Gegenstand angemessen, ist das Buch keine reine Bau- und Kirchengeschichte. Zwar handelte es sich um einen architektonisch bedeutenden Bau Johann Philipp Gerlachs, von dem in Berlin u. a. die Sophienkirche, der Turm der Parochialkirche und das rekonstruierte Kronprinzenpalais erhalten sind. Über die Grenzen der Stadt berühmt wurde die Hof- und Garnisonkirche jedoch aus anderen Gründen. Hier befand sich einst die Königsgruft mit den Särgen des Soldatenkönigs und Friedrichs des Großen, die vom russischen Zaren Alexander und von Napoleon besucht wurde. Die Kirche diente großen Sieges-, Friedensfeiern und Regierungsjubiläen sowie schließlich einem Ereignis, das den Bau politisch bis in die heutige Zeit in den Augen vieler diskreditiert: dem „Tag von Potsdam“. Am 21. März 1933 fand der Staatsakt zur Eröffnung des Reichstages in der Garnisonkirche statt. Der neue Reichskanzler Adolf Hitler und der greise Reichspräsident Paul von Hindenburg verlasen hier ihre Erklärungen, und Goebbels bestimmte das Stundenlied des Glockenspiels der Kirche („Üb' immer Treu' und Redlichkeit“) zum Pausenzeichen des Deutschlandsenders. Symbolisieren sollte das Ganze ein Bündnis von Nationalsozialismus und Preußentum: „an der Bahre des großen, unsterblichen Friedrichs das neue Werk des nationalen Wiederaufbaus zu beginnen“.

Schwipps legte hiermit einen informativen Abriß der Geschichte der Hof- und Garnisonkirche vor, der dem Leser das nötige Hintergrundwissen für die aktuellen Diskussionen um das Bauwerk vermittelt. Auch die kleinen Ungenauigkeiten - die Jerusalemer Kirche stand in der Friedrich- und nicht in der Wilhelmstadt, die Berliner Garnisonkirche befand sich an der Burg- und nicht an der Wallstraße, und der Baumeister Johann Philipp Gerlach wurde nicht 1697 sondern 1679 geboren - beeinträchtigen den genannten Nutzen des Buches kaum.

Schwipps, mit dem letzten Organisten der Garnisonkirche verwandtschaftlich verbunden, ist ein großer Bewunderer des Baus, und damit steht er nicht allein. Für einen Wiederaufbau der Kirche gibt es jedoch neben begeisterten Befürwortern auch erbitterte Gegner, und beide führen an Argumenten schwere Geschütze ins Feld. Denkmalschützer, denen das Geld für die Sanierung historischer noch stehender Bauwerke fehlt, sehen dann eine Disneylandmentalität, die geschichtliche Entwicklungen ignoriert und sich prestigeträchtige Märchenschlösser favorisiert. Für andere wird „Bau oder nicht Bau“ zum Politikum mit den üblichen damit verbundenen Übertreibungen. So sehen Gegner in der Kirche nur noch ein Sinnbild des preußischen Militarismus, der mit der Rekonstruktion des Bauwerks anscheinend gleich wieder aus dem Grabe auferstehen würde. Für Befürworter sind Wiederaufbau der Garnisonkirche wie auch des Stadtschlosses existentielle Fragen für Potsdam. Seltsam ruhig bleibt derzeit nur die evangelische Kirche, die nach landläufigen Vorstellungen ja hier Hausherr sein müßte. Ein seelsorgerischer Bedarf für eine Kirche ist wohl nicht gegeben, wenn man an die vielen leerstehenden Gotteshäuser in Berlin-Brandenburg denkt. Eine Garnison hat Potsdam auch nicht mehr. Mit Militär und erst recht mit Militarismus hätte ein Wiederaufbau der Kirche auch nichts zu tun. Übrigens ist der Schirmherr der um die Rekonstruktion bemühten Stiftung General a. D. Jörg Schönbohm, und der Traditionsgemeinschaft „Potsdamer Glockenspiel“ steht Ex-Bundeswehroffizier Max Klaar vor. Eigentlich ist der Wunsch nach einem Wiederaufbau von Kirche und Schloß eine einzige Bankrotterklärung für die moderne Architektur, der man offenbar nicht zutraut, ernstzunehmende Alternativen für ein wirkliches Stadtzentrum zu entwickeln, und so greift man lieber auf Großes und Bewährtes zurück. Tatsächlich scheinen gerade diese Argumente, die den architektonischen Wert des Gerlach-Baus betonen, am erfolgversprechendsten. Daß diese Logik meist doch nur politisch motiviert und gerade in Berlin-Brandenburg nie zu Ende gedacht wird, fällt allerdings schon auf. Einerseits muß die 1962 abgerissene Bauakademie Friedrich Schinkels unbedingt wieder aufgebaut werden, andererseits steht die im Zweiten Weltkrieg zerstörte Elisabethkirche des gleichen Baumeisters immer noch als Ruine da. Vielleicht könnte man auch das architektonisch bei weitem nicht so bedeutsame Hotel Adlon abreißen und dafür den Vorgängerbau, das Schinkelsche Palais Redern, wiedererrichten. Einerseits will man am liebsten das historische Ensemble mit Schloß und erwähnter Baukakademie wiederherstellen, anderseits setzt man diesen Traumkulissen unwidersprochen den modernen Klotz des Erweiterungsbaus des Auswärtigen Amtes vor die Nase. Für historische Rekonstruktionen gäbe es in Berlin-Brandenburg allerdings noch weitaus mehr Möglichkeiten als die immer wieder erwähnten: So ließe sich doch das legendäre Knie wiederherstellen, derzeit als Ernst-Reuter-Platz nur eine häßliche Verkehrsinsel, oder Eduard Knoblauchs Krolloper und Moltkes Gene-ralstabsgebäude am Platz der Republik oder die Iffland-Villa im Tiergarten oder die originale Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche. Richtig stilvoll aber wäre erst ein Wiederaufbau der 1747 abgerissenen Dominikanerkirche am Schloßplatz, schließlich wäre das - gerade im Preußenjahr - auch ein Zeichen der Wiedergutmachung für das Unrecht, das den Katholiken durch Reformation und Bismarcks Kirchenkrieg in Brandenburg-Preußen zugefügt wurde.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 06+07/01 (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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