Eine Rezension von Kathrin Chod

Ausflug in eine vergangene Zeit und in ein
untergegangenes Land

Rudolf Meyer-Bremen/Jörn Barfod:
Frühe Ansichten Ost- und Westpreußens im Steindruck
Husum Verlagsgruppe, Husum 2001, 144 S.

Auf den ersten Blick scheint es im Preußenjahr 2001 gewiß zugkräftigere Ausstellungstitel zu geben als „Frühe Ansichten Ost- und Westpreußens im Steindruck“, den das Ostpreußische Landesmuseum Lüneburg für seine Exposition vom 3.3. bis 24. 6. 2001 wählte und zu dem die vorliegende Publikation als Begleitbuch erschien. Es enthält neben Abbildungen der gezeigten Lithographien Erläuterungen zum Künstler und dem jeweils abgebildeten Ort sowie einen Beitrag zu Landschaftsdarstellungen im 18./19. Jahrhundert (Rudolf Meyer-Bremen) und der Romantik (Jörn Barfod) in Ost- und Westpreußen.

Mit der Entwicklung des Steindrucks 1799 war eine relativ kostengünstige Möglichkeit entstanden, Bilder auch in größerer Stückzahl zu reproduzieren - beim bis dahin üblichen Kupferstich waren kaum mehr als 200 Exemplare in gleich guter Qualität möglich. Diese Entwicklung traf mit einem - im Gefolge der Befreiungskriege - steigenden Interesse an der nationalen Kultur zusammen. Ausdruck dieser Hinwendung zu deutschen Städten und Landschaften als Sujet der bildenden Kunst sind die hier vorgestellten 86 Lithographien. Sie wurden aus verschiedenen Sammlungen (u. a. Kupferstichkabinett der Staatlichen Museen zu Berlin, Stadtmuseum Berlin und Germanisches Nationalmuseen Nürnberg) zusammengetragen.

Derartige Arbeiten scheinen einen Nerv der heutigen Zeit zu berühren, wie der große Erfolg der Werkschau mit Stadtansichten des Malers Eduard Gärtner derzeit in Berlin beweist. Eine Lithographie Gärtners - Rathaus Thorn - ist auch in der Lüneburger Ausstellung zu besichtigen. Der Erfolg erklärt sich wohl nur zum Teil mit dem derzeitigen Museumsboom, eine weitere Ursache liegt wohl darin, daß sowohl die Arbeiten Gärtners wie auch die hier vorgestellten Drucke scheinbar authentische Städtebilder des frühen 19. Jahrhunderts zeigen. Vor der Einführung der Photographie (1839) waren Malerei und Zeichnung die einzige Möglichkeit, ein annähernd wirklichkeitsgetreues Abbild zu schaffen. So wie die detailgenauen Gemälde Bellottos heute das barocke Dresden wiederauferstehen lassen, so gelingt dies mit den Bildern Gärtners für das Berlin vor der Zerstörung durch Krieg und moderne Baukunst. Die Arbeiten der Lüneburger Ausstellung widmen sich zudem Orten, bei denen nicht nur Architektur und Stadtstruktur verlorengingen. Nach dem Zweiten Weltkrieg zwischen Polen und der Sowjetunion aufgeteilt, trifft auf viele Ortschaften Ost- und Westpreußens wie etwa Rudau, Schwetz, Kahlbude oder Graudenz ein Buchtitel Gräfin Dönhoffs zu: „Namen, die keiner mehr kennt“. Und so bieten die vorliegenden Drucke die Möglichkeit, einen Ausflug in eine vergangene Zeit wie auch in ein untergegangenes Land zu unternehmen. In einen Landstrich, der dem neuen Königreich 1701 erst seinen Namen gab - das alte Preußen.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 06+07/01 (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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