Eine Rezension von Hans Hauser
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Glaubensflüchtlingen Schutz und Freundschaft geboten

Werner Gahrig: Unterwegs zu den Hugenotten in Berlin
Historische Spaziergänge.
edition ost, Berlin 2000, 352 S.

Ders: Unterwegs zu den Hugenotten im Land Brandenburg
Historische Ausflüge.
edition ost im Verlag Das Neue Berlin, Berlin 2000, 383 S.

Durch die Einwanderungspolitik des Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm und seines Sohns Friedrich III., ab 1701 König Friedrich I. „in“ Preußen, kamen rund 20 000 französische Glaubensflüchtlinge nach Berlin und in andere Städte Brandenburg-Preußens. Grundlage war das 1685 von Friedrich Wilhelm erlassene „Edikt von Potsdam“, das den aufgrund von Befehlen des „Sonnenkönigs“ Ludwig XIV. aus Frankreich vertriebenen Hugenotten Unterkunft und Arbeit sowie vielfältige Vergünstigungen gewährte. Größter Auftraggeber der anfangs weitgehend autonom in sogenannten Kolonien lebenden Händler, Manufakturisten, Kunsthandwerker und Künstler sowie Gelehrten, nicht zu vergessen Soldaten, Landwirte, Dienstboten und andere Personen, waren der kurfürstliche, ab 1701 königliche Hof, der Adel und das wohlhabende Bürgertum sowie die Armee. Unübersehbar ist der Beitrag, den die Zuwanderer für den Aufschwung von Wirtschaft und Kultur im Lande und die Ausbreitung „feiner“ Sitten leisteten, bis hin zur Einführung neuer Speisen und Agrarprodukte sowie der Kultivierung der französischen Sprache. Die Hugenotten haben vielfältige Spuren hinterlassen, die auch heute in Stadt- und Dorfbildern und Landschaften erkennbar sind. Viele Kirchen, Wohngebäude und Arbeitsstätten der Refugiés haben die Zeiten mehr oder weniger gut erhalten überdauert, auch heute leben bei uns zahlreiche Menschen mit hugenottischen Vorfahren. Wer waren die Einwanderer, was haben sie geleistet, wo haben sie gelebt und gebetet, wo hat man sie zu Grabe getragen? In seinen Wegleitungen zu den Hugenotten in Berlin und im Land Brandenburg geht Werner Gahrig auf Spurensuche, ruft in Erinnerung, daß bedeutende Vertreter der Kunst und Wissenschaft, Militärs und Ökonomen Hugenotten waren oder von ihnen abstammen - die Schriftsteller de la Motte-Fouqué und Fontane, die Architekten de Bodt, Boumann und Gilly, der Maler Pesne und der Grafiker Chodowiecki, der Bildhauer Begas, der Naturwissenschaftler Du Bois-Reymond und viele andere, ohne die unsere Kulturlandschaft zweifellos ärmer wäre.

Gahrigs Bücher beginnen mit Grußworten der beiden Länderchefs Diepgen und Stolpe, welche preußische Tugenden wie Toleranz und Gleichberechtigung beschwören. Zusammenfassungen in französischer Sprache und zweisprachige Bildunterschriften werden Lesern und Touristen aus Frankreich bei der Spurensuche helfen, außerdem weisen Literaturverzeichnisse auf Publikationen über die Aufnahme und Anwesenheit von Hugenotten in Berlin und der Mark Brandenburg hin, so daß Interessenten sich weitere Informationen besorgen können.

Der Autor blickt eingangs zurück auf die Umstände, die vor über 300 Jahren zur Flucht von Anhängern des Protestantismus in Frankreich führten. Durch ihr Bekenntnis im Gegensatz zur herrschenden katholischen Kirche stehend und durchaus zur geistigen und wirtschaftlichen Elite des Landes gehörend, hatten die Hugenotten einen Anteil von sieben bis acht Prozent an der Bevölkerung. Nachdem sie gewaltsamen Bekehrungsversuchen widerstanden hatten, blieb ihnen nichts anderes als die Flucht in protestantische Regionen des römisch-deutschen Reiches, in die Schweiz, nach Skandinavien, England und andere nichtkatholische Länder. Der Kurfürst von Brandenburg bot den Hugenotten Schutz und Protektion sowie Hilfe und Freundschaft an, wie Gahrig an vielen Beispielen zeigt, und hatte dabei natürlich auch volkswirtschaftliche Ziele im Auge, was der großherzigen Geste keinen Abbruch tut. Neben dem, was die Hugenotten und all die Glaubensflüchtlinge aus anderen katholischen Ländern an materiellen Gütern mitbrachten, waren ihre technischen und künstlerischen Fähigkeiten, Kenntnisse und Fertigkeiten für die Entwicklung Kurbrandenburgs von unschätzbarem Wert. Viele Gewerke wurden hier erstmals eingeführt oder auf den neuesten Stand gebracht, wie der Verfasser nachweist. Zu nennen sind das Weben und Färben von Textilien, das Wirken von Strümpfen, die Verarbeitung von Gold- und Silberfäden für Borten und Tressen, die unter anderem auch für die Armee bedeutsam waren, ferner Gold- und Silberschmiedekunst sowie die Herstellung von Gobelins und weiterer Luxusartikel für den Hof und die reiche Oberschicht, nicht zu vergessen der Anbau unbekannter Gemüse wie Spargel und Blumenkohl sowie neuer Obstsorten.

Berlin war das wichtigste Ziel der Refugiés, die auch zum Teil recht beträchtliche Kapitalien ins Land brachten und daher bei Hofe besonders gut angesehen waren. Um 1700, als Kurfürst Friedrich III. die preußische Königskrone anstrebte, machte die französische Kolonie in Berlin etwa ein Fünftel der Einwohnerschaft aus. Direkten Zugang zur Herrscherfamilie hatten hugenottische Beamte und Militärs sowie Diplomaten, Lehrer, Erzieher, Künstler und Gelehrte. Sie prägten das Leben und die Weltsicht der Spitzen des Staates bis ins 19. Jahrhundert hinein. Bevorzugte Wohnorte waren, wie in Gahrigs Buch nachzulesen, die kurfürstlichen Neugründungen Dorotheenstadt und Friedrichstadt sowie die Gegend um das Schloß, das gerade von Schlüter und anderen Künstlern zu einem prächtigen Barockpalast ausgebaut wurde. Französische Kolonien gab es auch im Weichbild Berlins, der Name Französisch-Buchholz ist erst vor einiger Zeit wiederbelebt geworden. Der Verfasser führt den Leser auch an diese Stätten. Stiche und Fotos zeigen ihr damaliges oder auch heutiges Aussehen. Leider sind nicht alle Bilder gelungen, „stürzende“ Linien bei den Fotografien sollte man vermeiden. Außerdem sollte man es bei einigen Gebäudenamen bei den bekannten Bezeichnungen belassen, etwa Zeughaus oder Singakademie, und besser dahinter die heutige Verwendung in Klammern setzen.

Da nicht alle Hugenotten in Berlin angesiedelt werden konnten, wies man ihnen Arbeit und Wohnung in weiteren kurmärkischen Städten wie Brandenburg, Frankfurt (Oder), Prenzlau, Potsdam und Schwedt sowie auf dem platten Land zu. Auch hier trugen sie wesentlich zum wirtschaftlichen und kulturellen Aufschwung bei, wie man aus Gahrigs zweitem Hugenotten-Band erfährt. Erneut ergreift der Autor die Gelegenheit, den Leser mit Leistungen zur Urbarmachung unwirtlicher Landstriche oder zur Einführung neuer Industrie- und landwirtschaftlicher Produkte bekannt zu machen, etwa des Tabakanbaues oder der Seidenraupenzucht. Zu erfahren ist, daß die Fremden bei den Einheimischen nicht gerade mit offenen Armen empfangen wurden. Man hatte auf beiden Seiten Anpassungsprobleme und sah einander als Konkurrenten an. Das führte zu Spannungen im Zusammenleben, zu Beschwerden bei Hofe, der seinerseits mit Edikten und Befehlen reagierte. Wie Gahrig allerdings auch mitteilt, reichte der Arm des Landesherren als Protektor der Refugiés nicht in jedes Dorf oder Rittergut, so daß es fern der Hauptstadt durchaus zu Akzeptanzproblemen kam. Gahrigs Bücher enthalten neben Informationen über die Hugenotten auch solche zur Baugeschichte einzelner Orte und Landschaften, das macht sie zu soliden Nachschlagewerken für jeden, der sich für die Entwicklung Berlins und der Mark Brandenburg interessiert.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 06+07/01 (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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