Rezension von Bernd S. Meyer

Eine sehr deutsche Geschichte des letzten Jahrhunderts

Helmut Caspar (Hrsg):
Die Beine der Hohenzollern
Mit einer Vorbemerkung von Dieter Hildebrandt.
Quintessenz Verlag, Berlin 2001, 128 S.

In diesem broschürten Büchlein, das passend zum 100. Jahrestag der Einweihung der Siegesallee erscheint, wird anhand der Rezeptionsgeschichte von vier Wilmersdorfer Gymnasiastenaufsätzen von anno 1901 zu den marmornen Herrscherbeinen der Siegesallee nicht mehr und nicht weniger als eine sehr deutsche Geschichte des letzten Jahrhunderts erzählt. Helmut Caspar hat gründlich recherchiert und anscheinend kaum etwas weggelassen, darum hier eine knappe Zusammenfassung. Die Geschichte hatte damit begonnen, daß Kaiser Wilhelm II. zum 200. Jahrestag der Monarchie etwas für sein persönliches Renommee, das des Hauses Hohenzollern und seines strahlenden Reiches tun wollte und sich im königlichen Tiergarten eine Skulpturenallee erdachte. Die sollte mit den Standbildern aller Herrscher Brandenburgs und Preußens seit der Ostkolonisation direkt zur Siegessäule am Königsplatz und damit zum Reichstag führen, in dem der Plebs und andere aufmüpfige Gestalten nach Kaisers Meinung in äffischer Debatte nur zu oft Preußens Heldenzeit vergaßen.

Dann hat er sich mit einer Denkmalskommission als Hilfstruppe umgeben, Reinhold Begas, den damals vermutlich tüchtigsten der Berliner akademischen Bildhauer, als künstlerisches Haupt herangeholt. Der bekam die Angelegenheit schnell auf die Reihe. Und so fiel ein heftiger kaiserlicher Geldsegen auf die erfreute Berliner Bildhauerzunft, auf schließlich 25mehr oder weniger Talentierte, auf gute Freunde und gute Bekannte, die sämtlich unter des Kaisers strenger Aufsicht und seinem eigenwilligen Kunstverstand die italienischen Steine auf hohenzollernsches Denkmalformat brachten. Schnell sollte es gehen, Marmor mußte es sein, denn aus edlem Marmelstein sind seit je die Bilder der Götter gemacht. Stücker 32 Denkmäler, jeweils aus einem Treppenpodest mit genormter und stilistisch ergänzter halbrunder Marmorbank, die den davor auf marmornem Postament in Zeittracht stehenden Herrscher umrahmt und auf deren Lehne schließlich immer die Büsten zweier Männer plaziert sind, die in ihrer Zeit dem Herrscher gedient haben. 32 Herrscher und 64Diener, darunter auch solche wie J. S. Bach und Bismarck. Keine Frauen. Keine Pferde. Nur Männer. So viele Helden sollte dem Kaiser des Deutschen Reiches erst mal jemand nachmachen! Daß der Recke Wedigo von Plotho (Hintersasse des Markgrafen Heinrich das Kind, 1319- 1320) von Bildhauer August Kraus die Züge seines Freundes Heinrich Zille (1858- 1929) verliehen bekam, war ein Bildhauerscherz hintersinniger Art, den natürlich zunächst niemand mitbekommen durfte.

Im Jahre 1901 ist die ganze Allee mit höchstem Pomp eingeweiht worden, offiziell bejubelt, aufwendig umgrünt und nach allerlei nächtlichem Vandalismus streng bewacht. Der Kaiser erklärte in seiner unnachahmlichen Überheblichkeit, daß nur dies und nichts anderes die gültige Kunst sei und daß es nur jemand wagen sollte, ihm zu widersprechen.

Nun kamen die begeisterten Fremdenführer, die fern vom Verkehrslärm und in idealer Gruppenerklärentfernung endlich das ganze Brandenburg-Preußen-Deutschland nach streng geordneter Männer-machen-Geschichte-Reihung verklickerten. Der Berliner Volkswitz erfand für die Heldenzeile schnell den Namen „Puppenallee“.

Die Satiriker, vor allem die vom „Simplizissimus“ aus München, weitab des kaiserlichen Bannstrahls und darum besonders mutig, hatten leichtes Spiel, denn anders als mit bösem Gelächter war der gehäuften Ansammlung von Staatskitsch kaum beizukommen. Auch die versammelte Kunst- und Architekturkritik stritt sich über mangelhafte Ausführung, bildhauerische Meterware, hohle Pose. Beteiligte Bildhauer entblödeten sich nicht, handwerkliche Kritik an die italienischen Marmorarbeiter weiterzugeben, die in Cararra und auch in Berlin die Figuren vorbereitet hatten.

Nun trat im Mai 1901 Otto Schroeder, der humanistische Gymnasialprofessor vom Joachimsthalschen Gymnasium, in die Bütt, hatte er doch hintersinnig - aber gewiß staatstreu - seinen Primanern das Aufsatzthema gestellt, die Beinstellungen der Herrscherdenkmäler zu bewerten. Die schrieben also brav ihre braven, kein bißchen aufmüpfigen Aufsätze. Und wie das an feinen Schulen so geht, die Schüler haben begüterte Eltern, die Eltern Bekannte bis in die Umgebung des Kaisers. Der hört also vom Tun seiner Untertanen und gibt strenge Order, die Aufsätze eilends an Bord seiner Jacht nach Skandinavien zu schicken. Mitten in den Schulferien! Wenigstens vier der Ausarbeitungen geraten so unter seine Augen. Er zensiert, ganz gestrenger Herrscher, die Aufsätze ein zweites Mal, durchaus ein wenig anders als der amtliche Lehrer und ganz in seiner schlichten Denkungsart. Immerhin, weder Lehrer noch Schüler trifft ein kaiserlicher Bannstrahl. Eigentlich ist das kein Wunder, haben sie doch in Pflichterfüllung und, wie es sich gehört, ganz dem Rufe ihrer Schule gemäß als eifrige Untertanen und die beinstellerische Angelegenheit mindestens so ernst genommen wie der Kaiser selber die ganze Allee. Nachbildungen der vier Aufsätze gehen auf Wunsch Seiner Majestät an das Hohenzollern-Museum, werden dort, wie es so schön heißt, separiert. Nun werden die Aufsätze in voller Länge und mit allen Anmerkungen abgedruckt. Sie sind zwar der Anlaß der Publikation, wer aber darin weltbewegende Gedanken vermutet, geht in die Irre.

Den Standbildern selbst erging es schlechter als den wohlerhaltenen Aufsätzen. Nachdem ab 1914 zunächst die Angehörigen im Weltkrieg Gefallener hierher gepilgert waren, um im Angesicht der Heldengeschlechter der Mark ihren Trost zu finden, wußte nach 1918 die Republik nichts mehr mit des Kaisers Historiendekorationen anzufangen und ließ sie als Zeugnisse des ungeliebten vorigen Regimes vor sich hin verrotten, zum Abriß kam es trotz mancherlei radikaler Forderungen jedoch nicht. So standen sie unnütz herum, sahen dabei sogar manch revolutionäre oder immerhin republikanische Aufzüge.

Helmut Caspar beklagt mit dem Abstand eines Jahrhunderts, daß mit den Herrscherstandbildern zeitweise arg Schindluder getrieben wurde. Er erwähnt aber auch, daß in der Nazizeit die Bildwerke als Zeugnis großer Vergangenheit „wiederentdeckt“ wurden. Hitler und sein Architekt Speer nahmen sich ihrer an und versetzten sie 1938 bei den Umgestaltungsplänen für die Welthauptstadt Germania nunmehr in Richtung Großer Stern, erneut auf die ebenfalls versetzte Siegessäule zulaufend. 1945 fanden sich die marmornen Herrscher und ihre Beigeordneten folgerichtig arg lädiert und deutlich zerschossen in kahler Landschaft des ausgeräumten Tiergartens. Nebenan an der Charlottenburger Chaussee entstand im Gegenzug das Ehrenmal der Roten Armee als Denkmal neuester Geschichte, restauriert in den 90er Jahren. Von den Brandenburg-Preußischen wollte dazumal niemand mehr etwas wissen. Mit dem Gesetz Nr. 46 des Allierten Kontrollrates zur Auflösung des Staates Preußen und damit zur Demokratisierung Deutschlands standen ab 1947 die Denkmale endgültig zur Disposition und wurden - schon unter Verwaltung des West-Berliner Senats - um 1950 abgeräumt. Provisorisch verteilte man sie zunächst um die Ruine des Schlosses Bellevue. Als das wiederaufgebaute Schloß dann West-Berliner Amtsitz des Präsidenten der Bundesrepublik wurde, ließ der Landeskonservator sinnigerweise die Statuen der verflossenen Herrscher zu dessen Füßen im Park vergraben, dort harrten sie anderer, womöglich besserer Zeiten. Caspar vergleicht das mit dem in der Antike üblichen Vergraben geweihter Götterfiguren. Um 1979 kam auch in West-Berlin Preußen wieder langsam ins Licht der Öffentlichkeit, und so wurden die Standbilder mit Billigung des damaligen volksnahen, singenden Bundespräsidenten Walter Scheel („Hoch auf dem gelben Wagen“) wieder ausgegraben und in das Lapidarium im ehemaligen Wasserwerk III am Landwehrkanal verbracht. Die Herrscher, obzwar ziemlich lädiert, standen dort im Trockenen, ein Teil der Büsten verwitterte daneben weiter im Freien. Markgraf Albrecht der Bär (1134- 1170) fand einen heldischen Platz innerhalb der Mauern von Spandaus Zitadelle. Dieses „Exil“ am einstigen Wirkungsort ist dem von Rauchs Reiterstandbild von Friedrich dem Zweiten in Potsdam-Sanssouci ab 1950 vergleichbar. In Ost-Berlin war allerdings die Wiederaufstellung des ungleich berühmteren Rauchschen Denkmals am angestammten Platz Unter den Linden schon 1979 beschlossene Sache gewesen. Caspar verweist in seiner detaillierten Darstellung der Wirkungsgeschichte neben seiner ersten eigenen Broschüre von 1990 zum Thema auch auf eine Vorgängerpublikation von 1960. Damals hatte nämlich in Ost-Berlin unter dem Pseudonym R. E. Hardt der 1953 bei Ulbricht in Ungnade gefallene ehemalige Chefredakteur des „Neuen Deutschland“ Rudolf Herrnstadt unter dem gleichen Titel eine scharf polemische Publikation herausgebracht. Die verwendete das historische Material dieser kaiserlichen Realsatire, gefunden im Staatsarchiv Merseburg, gezielt propagandistisch als Munition gegen den preußisch-deutschen Militarismus und Imperialismus und also auch seine Nachfolge im Westen. Es sei darauf hingewiesen, daß diese Erstfassung der „Beine der Hohenzollern“ just zu jener Zeit erschien, als gerade ein Denkmal in Ost-Berlin gestürzt wurde. Klammheimlich ist seinerzeit nämlich das Stalin-Standbild aus der dann ein Jahr später umbenannten Stalinallee entfernt worden. Ein purer Zufall scheint diese Zeitgleichheit der Veröffentlichung des ehemaligen „ND“-Publizisten jedenfalls nicht zu sein. Mit jeglichen Denkmalen, darauf weist Helmut Caspar in seinem Büchlein zwischen den Zeilen dezent hin, ist es in Berlin schon immer so eine Sache gewesen. Auch wenn er sich hütet, die ästhetische Qualität der Siegesallee-Denkmäler selbst zu bewerten, bricht er doch eine Lanze für den sorgsamen denkmalspflegerischen Umgang mit solcherart über-kommenen Hinterlassenschaften. Lobenswert ist, daß neben einem ausführlichen Literaturverzeichnis auch jedes einzelne Standbild genau dokumentiert und dazu komplett die reproduzierten Fotos aller Denkmalsanlagen im Originalzustand, diverse Karikaturen sowie Fotos verschiedener späterer Zustände zu sehen sind. Der geneigte Leser kann sich somit selber ein Urteil über des Kaisers Freiluft-Ahnengalerie bilden. Zur höheren Weihe seines Unternehmens und zur Erbauung des Lesers hat Caspar sich nunmehr hundert Jahre nach den Münchner „Simplizissimus“-Karikaturen eines bissigen Bayern als Vorwort-Autor versichert. „Scheibenwischer“ Dieter Hildebrandt ist am Ende seines vergnüglichen Textes denn auch manch neue Herrscherdenkmals-Idee eingefallen. Etwa einen Adenauer, ebenfalls ohne Pferd, aber auf Pferdmenges, seinem Banker, sitzend, einen Kohl, auf dem Topf thronend, in dem die Spenden sich fortpflanzen. Schröder, in einem Fernsehschirm laokoonartig verstrickt oder mit der Hand auf seinem Dienstwagen.

Wenigstens sei im Zusammenhang mit dieser Erwähnung neuerer nicht-hohen-zollernscher Würdenträger darauf hingewiesen, daß der von Hardt-Herrnstadt übernommene Buchtitel bei aller publizistischen Pfiffigkeit ein wenig in die Irre führt, weil er doch irgendwie dem weitverbreiteten Hohenzollernkult huldigt. Schließlich hatte selbst Wilhelm II. bei der Anlage seiner Ahnengalerie nicht unterschlagen, daß in Brandenburg den Hohenzollernherrschern drei Jahrhunderte Askanier, Wittelsbacher und Luxemburger vorausgingen. Auch ihnen hat man schließlich Beine gemacht.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 06+07/01 (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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