Eine Rezension von Monika Melchert
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Leben aus dem Vollen

Dorothea von Törne: Brigitte Reimann
Einfach wirklich leben. Eine Biographie.
Aufbau Taschenbuch Verlag, Berlin 2001, 300 S.

Die Schriftstellerin Brigitte Reimann (1933-1973) war nach ihrem tragischen frühen Tod in der DDR beinahe zur Legende geworden. Man wußte, sie hatte bis zum Schluß um ihren Roman Franziska Linkerhand gerungen, ihrer Krebskrankheit hartnäckig die Kraft abgetrotzt, immer noch weiter zu schreiben. Er war fast fertig geworden und wurde 1974 posthum veröffentlicht, allerdings im Lektorat etwas verändert und um einige Passagen beschnitten. Dennoch, er war das Vermächtnis Brigitte Reimanns. Das Ergebnis eines aufregenden, unbequemen und leidenschaftlichen Lebens, eines Lebens aus dem Vollen. Diese vier Jahrzehnte aufzuarbeiten hat jetzt die Germanistin und Publizistin Dorothea von Törne unternommen, und es ist eine gut lesbare, interessante Biographie entstanden, der es gelingt, die Schriftstellerin fast dreißig Jahre nach ihrem Tod ganz lebendig erscheinen zu lassen. Die Tagebücher Brigitte Reimanns und ein großer Briefwechsel mit Freunden sind eine einzigartige Quelle und Fundgrube, wenn man ihre geistige Physiognomie wiedererstehen lassen will. Dorothea von Törne hat sie auf kluge Weise genutzt, sich auch nicht überschwemmen lassen von dem Bild, das die Schreiberin, das junge Mädchen in ihrer Heimatstadt Burg, später die Schriftstellerin in Hoyerswerda und Neubrandenburg, von sich selbst entworfen hat. Denn diese Gefahr lag durchaus nahe, zumal Brigitte Reimann eine extensive Tagebuchschreiberin war, die alle Details ihrer Lebens- und Liebesgeschichten festhielt. Dorothea von Törne befragt auch Zeugen und Weggefährten dieses Lebens, die Geschwister, den Partner Siegfried Pitschmann, die Freundin Christa Wolf, und gewinnt so eine zusätzliche authentische Ebene. Sie rekonstruiert die innere Biographie der Brigitte Reimann, füllt Lücken aus und erwägt behutsam, was in ihrer Entwicklung vor sich gegangen ist. So fügt sich das Private und das Berufliche, ohnehin nicht zu trennen, hier zu einer tatsächlichen Einheit zusammen.

„Ich habe Hunger auf das Leben, ich trinke meinen Becher aus bis zur Neige“, schrieb die junge, erfolgreiche Brigitte Reimann in ihr Tagebuch. Ihr überstarkes Bedürfnis nach Liebe und Beschütztwerden reibt sich an ihrer emanzipierten und unabhängigen Haltung, und genau diese Polarität wird für ihr ganzes weiteres Leben bestimmend sein. Die Intensität, mit der sie lebt und liebt und schreibt, braucht aber auch ihre Kraftreserven auf und zehrt an der Lebenslinie. Sparsam und auf Rücklagen hin konnte Brigitte Reimann nicht existieren, sie hat sich ganz verausgabt, was immer sie tat. Schon in den fünfziger Jahren begann das, als der Idealismus der jungen Autorin mit den Querelen in Politik und Kultur kollidierte. „Hart ist Brigitte Reimann aus den luftigen Höhen der Ideale auf den Boden der Realität aufgeschlagen und hat sogleich zu kämpfen begonnen.“ Dieses Muster wird sich mehrfach wiederholen. Die Biographin geht ihm in den verschiedenen Lebensphasen nach und zeigt, welchen Einfluß, welche Bedeutung Brigitte Reimanns Begegnungen für sie haben: mit den Männern, die sie liebt, mit den Intellektuellen, die ihr Partner der geistigen Auseinandersetzung werden. Einer davon ist der Architekt Hermann Henselmann, dessen Freundschaft Brigitte Reimanns starkes Interesse an moderner Architektur unterstützt, was dann in ihr wichtigstes literarisches Werk, Franziska Linkerhand, einfließen wird.

Brigitte Reimann engagiert sich in ihrem Staat und ist davon überzeugt, daß diese Gesellschaft den Menschen die besten Bedingungen seiner Entfaltung sichern werde. Doch die Auseinandersetzungen mit kulturpolitischer Enge und bürokratischen Ansichten vom Leben im Sozialismus nehmen zu und kosten sie viel Kraft. Noch rechtzeitig wird sie gewahr, daß sie benutzt werden soll, z. B. von Ulbricht für die Idee vom Bitterfelder Weg. Schreibend will sie herausfinden, was das sein könnte: sozialistisches Leben. Mit ihren Büchern will sie die Leser sensibilisieren für die Probleme, die hier und heute ihr Dasein bestimmen, und wenn möglich will sie damit zu Veränderungen beitragen. Dorothea von Törne schreibt auch darüber locker, anschaulich, unkonventionell, etwa wenn sie bei der Autorin „Zeichen eines traumwandlerisch sicheren Gefühls für politische Blödigkeiten, Intrigen und kulturpolitische Verhärtungen“ wahrnimmt. Später distanziert sich Brigitte Reimann zuweilen sogar von ihren frühen Erfolgsbüchern wie Frau am Pranger oder Ankunft im Alltag. Sie zieht sich aber auch dann nicht zurück, wenn sie merkt, daß vieles in der Praxis der Gesellschaft den schönen Idealen des Anfangs nicht entspricht. Risikobereitschaft ist einer ihrer Hauptzüge, aufsparen will sie sich nicht. Immer wieder stürzt sie sich in Neues, Unberechenbares, ohne vorher genau die Gefahren zu bedenken.

Es ist ein durch und durch widersprüchliches Leben, das alle Aufschwünge und Krisen voll auskostet. Die Biographin glättet nicht, sie nennt das Verworrene auch verworren, das Widersinnige und Affekthafte auch so. Immer wieder erlebt die schöne, leidenschaftliche Frau eine neue große Liebe, sie wird von unzähligen Männern angeschwärmt - und nimmt sie sich. In Partnerbeziehungen scheint es oft, als habe sie die tradierten Geschlechterverhältnisse einfach umgekehrt: Sie nimmt die Männer-Rolle an, sie verführt und will beherrschen. Getrieben von innerer Unruhe, beinahe süchtig nach Verehrung, kann sie nie lange in einer festen Beziehung ausharren. Auch das wird Stoff für ihre Literatur. Diese Geschichten machen sie produktiv, wie das wohl immer bei schöpferischen Menschen der Fall ist. Alles mündet schließlich in den Roman Franziska Linkerhand, an dem sie etwa zehn Jahre mit all ihrer Energie arbeitet. „Allein dem Gewissen folgen und nicht an den Preis denken“, formuliert sie selbst dabei als ihr Prinzip. Zunehmend ist sie nun bereit, alle Fesseln der Selbstzensur abzustreifen, die in den ersten Büchern noch geübt wurde. Brigitte Reimann schreibt immer kompromißloser, immer stärker auf der Suche nach einer Lösung für die scheinbar ausweglose Situation ihrer jungen Architektin Franziska, die sich nicht abfinden will mit den angeblichen Notwendigkeiten und kleinlichen Beschränkungen: „Es muß, es muß sie geben, die kluge Synthese zwischen Heute und Morgen, zwischen tristem Blockbau und heiter lebendiger Straße, zwischen dem Notwendigen und dem Schönen, und ich bin ihr auf der Spur, hochmütig und ach, wie oft, zaghaft, und eines Tages werde ich sie finden.“ Diese Schlußpassagen aus dem Roman könnten als ein Credo selbst über dem Leben der Brigitte Reimann stehen. Und Dorothea von Törne hat das Ihre dazu getan, daß man diese Schriftstellerin und ihr Hauptwerk nicht vergessen wird. „Du sollst einfach wirklich l e b e n“, war der Wunsch Christa Wolfs an die kranke Freundin.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 04/01 (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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