Rezension von Bernd Heimberger
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Annäherungen ans Alter

Bruno Runzheimer:
Es ist Melancholie, so will mir scheinen ...
edition winddruck, Siegen 2000, 77 S.

„Primär erhebt Melancholie den Anspruch auf die Sicht.“ Diese eine Zeile aus einem Gedicht von Bruno Runzheimer ist, wenn man möchte, der Satz aller Sätze der Gedichte Bruno Runzheimers. Ist er die nötige wie komplette Antwort auf den Titel der Gedichtsammlung Es ist Melancholie, so will mir scheinen ...? Eindeutigkeit, die der Titel nicht hat - haben will! - ist in den lyrischen Texten. Die Vokabel „Schwermut“ - oder ihr verwandte Worte - taucht nicht willkürlich und selten in den Texten auf. Bruno Runzheimer also ein Melancholiker? O ja! O nein! Der Mann, Anfang Fünfzig, rechnet nicht ab, nicht auf. Zur möglichst rigorosen Rechenschaft ist er aber bereit. Runzheimer ist in dem Alter, ohne schon ein Alter zu sein. Er hat mehr als nur eine vage Ahnung vom Altern. Die Gedichte des Lyrikers sind Annäherungen ans Alter. Gut so, denn in der Lyrik der Gegenwart ist Alter eher abwesend denn anwesend. Schwermut nicht zu verschweigen heißt, einem starken Gefühl älter werdender Menschen nachzugeben. Schwermut vergewissert sich der schnellgehenden Zeit, die Leben eher beruhigt denn beschleunigt. Rückschauend ist es auch für Runzheimer leichter, sich seiner Verluste zu vergewissern, um so größere Gewißheit für die Gewinne des Lebens zu bekommen. Das Verlieren-können-Müssen nicht Makel zu nennen heißt, die Bewußtheit für das Existieren und das Existenzielle zu haben, die deutlich Sein, Schein, Show voneinander zu trennen vermag.

Dem Lyriker Bruno Runzheimer geht's ums Sein. Um sein Sein, das er nicht mehr simplem Schein, schäbiger Show überlassen kann. Die Vita in den Verhältnissen der Zeit zu sehen heißt, die Verhältnisse der Vita besser zu begreifen. Runzheimer kommt nicht als lyrischer Leichtfuß daher, der mit Comedy-Witz-Weisheit unterhält. Auf das Hauptsächliche aus, bevorzugt er Hauptworte. Runzheimers Sprache ist die Sprache der Substantive, die Sprache mit der Tendenz zur Analyse, zum Absoluten, zur Totale, ohne eine Tendenz zur Tendenz zu machen, da nichts nur Analyse, das Absolute oder das Totale ist. Wie sie ist, ist die Sprache die des konstruktiven, kritischen, konstruierenden Geistes. Das Geistige ist das Problem in der Poesie des Bruno Runzheimer. Nicht selten dominiert Didaktisches in der Dichtung. Aus Gedanken gemacht, für die Gedanken da sind die Gedichte - wie angekündigt - „Gedankenlyrik“. Wenn die Fahnen der Gedanken straff flattern, wird leicht vergessen, wie wichtig der widerstandsfähige Stamm der Gefühle ist, an der die Fahnen gehißt sind. Wäre der Lyriker doch der gewonnenen Gewißheit treu geblieben, die er in der Zeile zusammenfaßte: „Ach Gefühl, bist Wesen mir und nächste Nähe ...“ Das strikt berücksichtigt, wäre die philosophische Poesie Bruno Runzheimers entschiedener eine poetische Philosophie. Für seine Anschauungen von der Welt hätte er entschlossener noch auf anschauliche Worte Wert gelegt, um so der sinnbildlichen, sinnlichen Darstellung seiner Weltanschauung möglicherweise größere Chancen zu geben. Den Gedanken der „Gedankenlyrik“ wäre gar nichts genommen worden, das Wesen des Gedankenlyrikers jedoch deutlicher und somit die Nähe, sprich Annäherung an seine Gedichte selbstverständlicher. Schade, wenn Gedanken den Zugang zu Gefühlen versperren. Schön, wenn Gefühle Gedanken in Bewegung bringen. Untrügerischer als Gedanken sind die Gefühle. Das gilt uneingeschränkt auch für die Gedankenlyrik von Bruno Runzheimer.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 04/01 (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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