Eine Rezension von Gerda Gericke
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Unbändige Lust zu schreiben

Eileen Rositzka:
Aus dem Gefängnis zu den Pyramiden
Verlag Frieling & Partner, Berlin 2000, 78 S.

Eine kleine Sensation waren sie schon auf der Frankfurter Buchmesse 2000: Eileen Rositzka und ihr erstes Buch. Denn Eileen ist erst zwölf, inzwischen vielleicht dreizehn Jahre alt, und da guckt schon jeder, der mit dem schwarzweißen Gewerbe zu tun hat, ein bißchen neugierig hin. Journalisten haben sie ausgefragt, und Eileen zeigte sich als ein kluges Mädchen, das eine unbändige Lust zu schreiben in sich trägt, aber ansonsten die Vorlieben ihrer Altersgefährten teilt. Insgesamt dreißig Geschichten hat sie sich in ihrem noch jungen Leben bereits ausgedacht, und diese nun entstand in den Sommerferien, in etwa fünf Wochen. Ihre Eltern machten ihr die Veröffentlichung bei Frieling & Partner zum Geschenk.

Eileen Rositzka erzählt von zwei Jungen, die sich in einem Gefängnis in Äthiopien kennenlernen: Ali, ein Kind des Landes, und Maurice, ein junger Franzose. In einem Nachwort teilt sie mit, daß sie keineswegs auf rassistische Verhältnisse und Denkweisen anspielen, sondern die Geschichte einer Freundschaft erzählen wollte. Damit macht Eileen darauf aufmerksam, daß sie noch ein Kind ist und mit politischen Auseinandersetzungen überfordert wäre.

Schauen wir also, was uns, der Lesewelt und darin besonders den jüngeren Lesern, mit Eileens Geschichte auf den Tisch gekommen ist. Die beiden Jungen sind vielleicht so alt wie sie selbst. Ali sitzt schon seit fünf Jahren in dem finsteren Verlies in Adis Abeba, weil er ein paar Äpfel gestohlen hat, und niemand fragt nach ihm. Maurice, der eben zu ihm gestoßen ist, hat einen Verkäufer beleidigt. Im Gefängnis erfährt Ali, daß seine Familie vermutlich ermorden worden ist. Maurice hat einen reichen Vater, mit dem er in dieses Land gekommen ist und der wahrscheinlich nach ihm suchen wird, aber Maurice fürchtet sich vor ihm. Damit ist beiden ein Motiv zu Flucht gegeben.

Eileens Geschichte wird ein bißchen vom Wunschdenken der Autorin beflügelt und wohl auch von der Lektüre älterer Kollegen. Da die beiden Jungen keine Zeit zu verlieren haben, finden sie auch bald eine schwache Stelle in der Mauer und legen ein Loch frei, das in einen Gang nach draußen mündet. Das ist schon in Ordnung, denn andere Mittel stehen einer zwölfjährigen Schreiberin kaum zur Verfügung. Auch der weitere Fluchtweg ist vom Glück begünstigt, im Zug nach Djibouti werden die beiden Schwarzfahrer von zwei europäischen Journalistinnen gedeckt. Sie gehen umsichtig zu Werke, um als blinde Passagiere auf einen Kreuzer nach Ägypten zu kommen, und als sie ein Mann vom Bordpersonal durchschaut, haben sie wieder Glück, er läßt sie weiterhin mitfahren.

Sie sehen die Pyramiden von Giseh, und dann geht die Reise weiter nach Paris, wo Maurices Tante sie aufnimmt. Der böse Vater erscheint und will seinen Sohn zurück, weil ein beschädigtes väterliches Renommee für den Geschäftsführer einer Kinderhilfsorganisation nicht eben dienlich ist. Aber ein Komplott von Tante und Briefträger verschafft der etwas undurchsichtigen Rechtssituation in Eileens Buch die Grundlage für ein Urteil gegen den Vater. Jahre später aalen sich die Freunde im ersten Frühlingssonnenschein an der Seine und erinnern sich ihrer Reisebegegnungen.

Es hat zu Eileens Geschichte ein paar freundliche Pressereaktionen gegeben, und auch das Fernsehen hat sich das junge Talent nicht entgehen lassen. Von Talent darf man ruhig sprechen, wenn es sich bei ihrem Buch auch nicht um einen Roman handelt, wie in den Zeitungen behauptet wurde. Es ist eine flüssig erzählte Geschichte, die zeigt, daß die Autorin schon viel Übung hat und daß sie ihrem eigenen Geschriebenen auch aufmerksam kritisch begegnet. An einigen Stellen ist zu merken, wie sie die eine oder andere Unklarheit geschickt korrigiert hat. Aber was ist auf Seite 50/51, Eileen, bei den Pyramiden? Waren die Jungen nun wirklich drin oder nur im Traum? Das möchte man schon wissen.

Natürlich sind ihr ihre beiden Helden am wichtigsten. Sie erfindet einige Situationen, die der Flucht ein paar dramatische Akzente geben und die Gelegenheit schaffen zu zeigen, was in den Jungen steckt. Indem sie füreinander einstehen, wird aus der Gemeinsamkeit der Notsituation eine Freundschaft. Darum geht es Eileen, und das gelingt ihr ganz gut.

Außerdem hat sie eine zweite Handlungsebene, die die Spannung erhöhen soll. Während die Jungen unterwegs sind, bemüht sich Maurices Vater, die Flüchtenden ein- und aufzuhalten. Das ist sehr gut gedacht. Dramatik entsteht immer, wenn entgegengesetzte Interessen aufeinandertreffen. Aber der Wunsch der Autorin, die beiden ungeschoren davonkommen zu lassen, drängt sich dem Leser von Anfang an so stark auf, daß ihr Kunstgriff doch nicht recht greift. Also, so leicht darf man's den Leuten nicht machen, nicht den handelnden Personen im Buch und auch nicht den Lesern. Ein wirklicher Konflikt oder ein paar ernst zu nehmende Widerstände auf der Flucht hätten das Interesse des Lesers sicherlich erhöht. Mal angenommen, der Vater wäre auf dem Schiff erschienen und hätte seinem Sohn vorgehalten, daß er seine Existenz gefährdet?

Eileens Geschichte ist achtundsiebzig Seiten lang. Und sie kommt achtundsiebzig Seiten lang wirklich auch voran. Das kann man nicht jedem Buch nachsagen. Der jungen Autorin geht es um hohe Werte: Freundschaft, Gerechtigkeit, Hilfsbereitschaft. Mit ihrem Nachwort hat sie unangemessenen Erwartungen vorgebeugt, aber es ist doch wohl so, daß die politischen Nachrichten an ihrer Arbeit mitgewirkt haben. Sie spricht es nicht aus, aber als Leser assoziiert man, daß Maurices unangenehmer Vater aus seinem Hilfswerk für die Kinder in Äthiopien vermutlich den meisten Nutzen gezogen hat, und die unmenschliche Gesetzes- und Gefängnissituation, in der sich Ali befindet, bedarf keines Kommentars. Ihre beiden Helden sind gleichwertig. Diese Überzeugung von der Gleichwertigkeit aller Menschen möchte Eileen ihren Lesern nahelegen.

Ich finde, Frieling und Partner hätten ihrer jüngsten Autorin ein wenig Rat angedeihen lassen können. Nicht, indem sie ihr Manuskript umschreiben, es ist ganz vergnüglich, das Profil der Autorin im Text zu erkennen. Wenn sie beispielsweise völlig unmotiviert ihre Verehrung für Goethe in den Anblick überträgt, den Ali seinem gebildeten Freund bietet. Nein, aber ein paar befremdende Ungeschicklichkeiten hätten ohne Mühe eliminiert werden können wie etwa die, wenn die erzählende Person plötzlich ihre beiden Protagonisten als „der Franzose“ oder „der Äthiopier“ bezeichnet, oder auch, wenn es der Autorin nötig erscheint zu erklären, was gemeint ist. Auch das Aussehen des Büchleins wird Kinder nicht unbedingt zum Zugriff reizen. Mit der Totenmaske von Tut-ench-Amun auf dem Titel sieht es eher aus wie die Beschreibung einer Ausgrabung.

Für Eileen hat sich ein Traum erfüllt: ihr erstes Buch! Jetzt hat sie schon wieder eine Geschichte fertig, einen Krimi. Ich hoffe, daß ihr die Aufmerksamkeit für ihren Erstling zu einem Publikationsangebot verhilft.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 04/01 (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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