Eine Rezension von Irene Knoll

Demontage einer Freundschaft

Karin Reschke: SpielEnde
Ullstein Verlag, München 2000, 174 S.

Von diesem Roman Karin Reschkes bleibt seltsamerweise kaum die Handlung in Erinnerung, obwohl sie durchaus spannend ist.

Die etwas exzentrische Cornelia, die sich vor dem Alter fürchtete, hat anscheinend Selbstmord begangen. Ein kleiner Kreis von Freunden, der einer Einladung Cornelias gefolgt war, findet ihre Leiche. Die Polizei kann keine Hinweise auf einen Mord entdecken, zumal sich auf der gedeckten Kaffeetafel ein Abschiedsbrief befindet, der an Feline, die engste Freundin, gerichtet ist.

Von Anbeginn ist Feline die Erzählerin, auch dieser Situation: „Cornelia hatte mich aus unserem Freundschaftsdienst entlassen, machte mich zur Verlassenen, bürdete mir die Last der Hinterlassenschaft auf und entschädigte mich mit einem Postscriptum.“ Wenn dieser Gedanke geäußert wird, sind dem Leser schon leise Zweifel an der Wahrhaftigkeit dieser Freundschaft gekommen, denn wie Feline die beste Freundin charakterisiert, das macht sie nicht eben sympathisch, und dieser Zweifel ist es, der wie ein Suchinstrument die weitere Lektüre begleitet. Mit der Urne, in der sich Cornelias Asche befindet, begibt sich Feline auf die Reise zu Cornelias Bruder, damit sie bei ihm bestattet würde. Sie macht Station in Meran, wo sie öfter mit Cornelia war. So wird der innere Streit mit ihr angeregt durch Erinnerungen. Cornelia hat Spuren hinterlassen, Nachfragen alter Reisebekanntschaften konfrontieren Feline damit. Eine Malerin offeriert ihr ein Geschenk Cornelias, ein Doppelporträt der Freundinnen, das sie bei ihrem letzten Besuch in Meran bei ihr in Auftrag gegeben hatte. Mit Feline geschehen schockierende Dinge, die das Format eines Angsttraums haben. Und an zwei Stellen im Geschehen, an denen vielleicht die Autorin selbst das Gefühl hat, bei der erzählenden Feline eine psychische Schmerzgrenze zu überschreiten, wechselt sie die Erzählposition, indem sie Feline gleichsam zur Zuschauerin ihrer selbst macht, sich selbst als das Objekt dessen bescheibt, was sie erlebt: „Ich trat wie in einen düsteren Stummfilm. Der alten Feline wackelten die Knie, auch der Atem blieb ihr fast stehen. Sie drückte die Tür hinter sich zu ...“

Aber das erklärt den Zwiespalt, den man beim Lesen fühlt, nicht ausreichend. Die Spannung, die aus den mysteriösen Ereignissen erwächst, die Feline widerfahren, steht gleichsam unverbunden neben der, die aus der Erzählweise tönt, in der sich das Thema des Romans bildet. Alles das, was sich im Verlauf der Geschehnisse anscheinend an Einsichten ergibt, wird nicht durch sie provoziert. Zwar führen sie hin zur Enthüllung der Zwietracht im Porträt der beiden Freundinnen, aber sie führen nur den Leser hin, die Erzählerin Feline kennt ihre Wahrheit längst. Wenn man den letzten Satz gelesen hat, die Rätsel gelöst und die Fäden endgültig gekappt sind, bleibt immer noch ein Gefühl der Irritation, und es verdichtet sich zum Ärger, wenn man den Anfang noch einmal liest. Denn tatsächlich hat Karin Reschke mit der Beschreibung, wie Feline den Tod der Freundin erlebt, in Teil 1 ihres Buches die Leser betrogen. So etwas macht man nicht.

Karin Reschke ist eine erfahrene Autorin. Auch in ihren früheren Büchern (Verfolgte des Glücks, ein Roman über Henriette Vogel, die Freundin des Dichters Kleist, und Dieser Tag über Nacht) erzählt sie über Frauen und ihre Lebensansprüche. Die Frauen, die uns in SpielEnde begegnen, haben die Schwelle zum Rentenalter überschritten. Das Datum von Constanzes Tod ist ihr zweiundsechzigster Geburtstag. Wie mir scheint, hat die Autorin, Jahrgang vierzig, auch den Konflikt zwischen der gesellschaftlichen Geringschätzung älterer Menschen und deren eigentlich unverändertem Lebensgefühl thematisieren wollen. Außer der exzentrischen Cornelia leidet niemand unter seinen Jahren, und solche Aussprüche Cornelias wie: „Die Jungen müssen uns hassen, wir besetzen ihre Plätze“, klingen denn doch wie das Echo auf entsprechende Fernsehsendungen. Sie stellen aber auch die Kehrseite von Cornelias Selbsthaß dar. Sie leidet darunter, daß ihr die Männer nicht mehr hinterherschauen und der jüngere Liebhaber sich zurückzieht. Das sind so Zugaben, die vielleicht unterhaltsam sind, das Thema aber nicht verdichten, sondern vielmehr die schon angesprochene Irritation verstärken. Denn für das Thema ist das Alter der Personen relativ bedeutungslos. Das Thema ist die Aufdeckung der destruktiven Beziehung der beiden Freundinnen zueinander. Unter der von beiden zur Schau getragenen Freundschaft verbarg sich ein Abhängigkeitsverhältnis, in dem die schwächere Feline benutzt und beherrscht wurde. Die Literatur hat Ehepartnerschaften solchen Charakters vorgeführt, auch symbiotische Männerbeziehungen. Die etwas subtileren seelischen Unterdrückungs- und Abhängigkeitsmechanismen zwischen Frauen sind wohl einfach auf Grund der Tatsache, daß andere Unterdrückungsverhältnisse für ihr Leben von größerer Wirkung sind, noch kaum zum Gegenstand erhoben worden. In den eigentlichen Prozeß der Demontage des Verhältnisses wird der Leser allerdings nicht eingeschlossen. Feline zeigt sich ihm vielmehr als klug reflektierende, mutige und starke Persönlichkeit, zu der die Rolle nicht passen will, die dem Leser weisgemacht wird. Das Ende der Reise deutet auf eine Lebensbilanz hin: Das Spiel ist aus. Die Gewinnerin wird ihrer Verluste gewahr.

Karin Reschkes Orts- und Menschenbeschreibungen sind sehr greifbar, sie übermittelt Bilder von suggestiver Kraft. Ein Film nach ihrem Buch würde ihren Stoff womöglich besser transportieren, als es das Buch selber tut.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 04/01 (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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