Eine Rezension von Björn Berg

Wollen heißt wählen

Kief Hillsbery: SkateBoy
Aus dem Amerikanischen von Harald Riemann.
Europa Verlag, München 2000, 351 S.

Rimbaud 2000 heißt Rad. Schreibt Texte für Songs. Ist vierzehn. Ist taubstumm. Ist „on the road“, wie seit Keruac Generationen amerikanischer Jungen auf Trebe sind. Bis sie werden, was die Generationen so werden: Eltern! Zum Beispiel die von Rad, der sich nicht dagegen sträuben würde, von Holden Caulfield (Fänger im Roggen) als Enkel adoptiert zu werden. Die Halbwaise Rad ist das literarische Geschöpf des nordamerikanischen Publizisten und Erzählers Kief Hillsbery und Hauptfigur seines ersten Romans, der im Amerikanischen passend War Boy und im Deutschen simplifizierend SkateBoy heißt. Klar, daß Radboy auch ein SkateBoy ist. Eine schlichte Skater-Story zu schreiben wäre Hillsbery vermutlich zu wenig gewesen.

SkateBoy ist ein vielsprachiger, sprachgewandter Roman, der von den Chancen der Generation Crack erzählt. Jawohl: Von Chancen! Zunächst sieht's wahrlich nicht danach aus, daß es für die Speed-Junkies, die „kuul“ für „das Wort des Tages“ halten, Chancen gibt, außer abzuhauen und abzuhängen. „Kuul“ ist das Wort des Buches, das dennoch nichts Gleichmütiges, Gleichförmiges, Geglättetes hat. Den enormen Unterhaltungswert des Romans garantieren die auf- und abgehenden Wogen der Erotik, die nie verflachen. Nicht, weil der Vierzehnjährige fortwährend nichts anderes als Sex im Sinn hat, was er für das Selbstverständlichste hält. Rad möchte das aggressiv-egoistische Gegeneinander im sexuellen Miteinander vermeiden. „Taub und nicht doof“, weiß er sehr wohl zwischen den Freunden zu unterscheiden, mit denen er unterwegs ist. Also zwischen seinem Beschützer Jonnyboy, dem „guten Schwulen“ wie dem gewöhnlichen „nordkalifornischen Schwulen“ oder den „Schwarznagellack“-Lesben. Als Kumpel zu akzeptieren, eignen sie sich nicht fürs Coming-out des Jungen. Er will, daß seine erste Liebe eine erste Liebe wird. Rad, der „kleine Klugscheißer“, ist ein Wählerischer, Wollender, Wissender. Als Wissender schlägt der Vierzehnjährige seinen berühmten Vorfahren, den 17jährigen Holden Caulfield, um Längen. Der Taube „hört“ besser. Der Stumme ist „gesprächiger“. Rad ist der Reifste, was seiner Jugendlichkeit keinen Abbruch tut, die schließlich nur einer mit ihm teilen darf. Der eine ist Jason, der herausgehalten wird aus den politischen Aktionen des Knaben. Sein politischer Aktionismus hebt den Roman über die Beschreibung der Skater-Speed-Schwulen-Szene hinaus. Festzustellen, daß „Politik ebenso einheizt wie Sex“, ist für den Gescheiten allerdings eine Erfahrung, die eher konfuse denn klar koordinierte Handlungen zur Folge hat. Rad und seine Clique als ernstzunehmende Retter der „Riesenredwoodbäume Nordkaliforniens“ zu sehen, wird den Lesern schwerfallen, da die Underdog-Aktivisten ein Debakel anrichten, das sie als pure Dilettanten ausweist.

Was zählt, letztendlich, weiß doch jeder, ist die Liebe. SkateBoy ist ein Roman von der Lebensliebe, Liebesliebe, der mit steigender Seitenzahl zu einem politisierten Roman wird. Zu einem amerikanischen Zeitroman, dessen schwächelnder politischer Teil nicht so wichtig genommen werden muß, wie er wichtig genommen sein will. Zu einem Roman, dessen stabiler erotischer Teil nicht so leichtgenommen werden kann, wie er leichtgenommen sein will. Die Liebe des Menschen zum Menschen ist nicht so leicht zu haben, wie sie zu haben sein scheint. Die Liebe, die die meisten Menschen meist zu Behinderten macht, macht sich in SkateBoy ein Behinderter unbehindert möglich, wie das keinem seiner Freunde gelingt. Das ist alles andere als „kuul“. Das ist beflügelnd, wie Kunst, Lebenskunst beflügelnd sein kann. Beachtlich, wie ein Behinderter aus seiner Behinderung mehr macht, als sie scheinbar zuläßt. Kief Hillsberys Roman SkateBoy stärkt das Zutrauen, das jeder braucht, um sich etwas zu trauen. Am besten sein Leben!


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 04/01 (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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