Eine Rezension von Volker Strebel

Das Geläut der Stille

Martin Heidegger/Imma von Bodmershof:
Briefwechsel
Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2000, 211 S.

Als der Briefwechsel zwischen Martin Heidegger und seiner ehemaligen Schülerin, der Philosophin Hannah Arendt, 1999 erschien, war der spektakulär ausgerichtete Teil der Aufmerksamkeit auf mögliche Enthüllungen über eine ungewöhnliche Beziehung gerichtet. Immerhin hatte die Zeitspanne der Heidegger-Arendt-Korrespondenz ein halbes Jahrhundert, von 1925 bis 1975, umfaßt.

Der vorliegende Briefwechsel, von Bruno Pieger kundig kommentiert, kann frei von voreingenommenen Spekulationen gelesen werden, und dennoch liegt ein ungewöhnliches Dokument voller Rücksichtnahme und Einfühlsamkeit vor. „Alt zu werden“, schreibt Imma von Bodmershof an Heidegger, „hatte ich mir nicht gewünscht, aber je deutlicher ich es erfahre, um so dankbarer fühle ich mich beschenkt von den Früchten, die, oft in harter Schale, Köstliches bergen.“ Eine ungewöhnliche Nähe hatte sich im Laufe der fast zwanzigjährigen Korrespondenz entwickelt, die sich nur verwandten Seelen ermöglicht.

1959 hatte der 70jährige Heidegger im Rahmen der Hölderlin-Gesellschaft einen Vortrag in München gehalten und dabei die damals 64jährige Imma von Bodmersdorf kennengelernt. Imma von Bodmersdorf war in jungen Jahren mit Norbert von Hellingrath verlobt, ehe er mit 28 Jahren bei Verdun gefallen war. Die Bedeutung von Friedrich Hölderlin und vor allem des Hölderlinschen Spätwerks, dem Heidegger sehr zugetan war, hatte er maßgeblich Norbert von Hellingraths Hölderlin-Edition zu verdanken. Insofern war die im Herbst des Lebens angesiedelte Begegnung für Heidegger, aber auch für Imma von Bodmershof, eine nostalgische Rückbesinnung auf das Wirken des jungen Hellingrath - hatte sich doch im Leben gezeigt, daß dessen bahnbrechende Hölderlin-Entdeckungen befruchtend auf sein philosophisches Lebenswerk eingewirkt hatten. In liebevoller Weise zieht sich diese Erinnerung wie ein Programm durch den gesamten Briefwechsel zwischen 1959 bis in Heideggers Todesjahr 1976 und sogar bis 1979 mit dessen Witwe Elfride Heidegger.

Es ist eine Freude nachzulesen, mit welcher Sensibilität die Briefpartner aufeinander zu horchen verstehen. Und auch wenn sich größere Zeitabstände zwischen die Korrespondenz schieben, kann sich jeder der Aufmerksamkeit des anderen gewiß sein. Ein eigenartiges Gespann geben sie ab, der weltbekannte Philosoph Martin Heidegger und die österreichische Schriftstellerin Imma von Bodmershof, welche anmerkt: „Briefe, die mir bedeutsam sind, bringen mir jedesmal schon in ihrer Ankunft Entscheidendes: im Augenblick des Erkennens der Schrift, beim Ergreifen des verschlossenen Umschlags überträgt sich etwas unmittelbar, fast stärker als beim Lesen, das wieder anderes in einem anspricht.“ Imma von Bodmershof sendet Heidegger immer wieder Belege ihrer „Haikus“, die sie damals veröffentlichte, und Heidegger bedankt sich mit Widmungsexemplaren seiner Schriften. Ganz praktisch nimmt Imma von Bodmershof Anteil am Schicksal des Hölderlin-Forschers Ludwig von Pigenots, der sich um die Sichtung des Nachlasses ihres gefallenen Verlobten liebevoll gekümmert hat und so gut wie mittellos seinen Lebensabend, selbstverständlich weiterhin unermüdlich tätig, verbringt - ob Heidegger nicht helfen kann? Dann sind sie sich einig über ihre Ablehnung eines kalten Intellektualismus, über die Folgen einer lediglich auf Effektivität ausgerichteten Industriegesellschaft, über den Verfall der Sprache als Ausdruck dieser Irrungen: „Eine der größten Gefährdungen der Sprache scheint mir darin zu liegen, daß die Fähigkeit und Wendigkeit im Sprechen und Schreiben sich steigert, daß gerade darin die Nivellierung sich ausbreitet und Maßstäbe überflüssig werden - ein paradoxer Vorgang, demgegenüber einen die Scheu befällt, noch etwas öffentlich zu sagen und zu schreiben“ - so Heidegger.

Sie korrespondieren über Eindrücke in der Natur, welche bei beiden weit mehr bedeuten als ledigliche Betrachtungen. Imma von Bodmershof schreibt: „Auch meine Wünsche für den Tag und das Jahr kommen wortlos, aber sie möchten Ihnen die klare Frische des sonnigen Morgens bringen, die Stille des Gartens mit Epheu- und Rosenblättern, die Falter und das leise Klingeln der Bienenglocke, das in die Stille läutet.“

Und Heidegger erwidert mit einer poetischen Widmung im Dezember 1975 im Anhang seines vorletzten Briefes an Imma von Bodmershof: „Sind nicht, die das Geläut der Stille hören, / anvertraut der Ankunft einer fernen Huld?“ Die Korrespondenz hatte einen höchsten Grad an Reife erlangt.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 04/01 (c) Edition Luisenstadt, 2001
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