Eine Rezension von Manfred Lemaire

Das Lied vom braven Mann

Hans Graf von der Goltz: Die Erben
Roman.
Paul Zsolnay Verlag, Wien 2000, 264 S.

Der Name des Autors weckt Assoziationen. Die freiherrliche Linie derer von der Goltz hat den deutschnationalen General Colmar von der Goltz-Pascha hervorgebracht, der dem türkischen Heer Ende des 19. Jahrhunderts Zucht und Ordnung beibrachte und ebenfalls im preußischen Geist als Militärschriftsteller brillierte (u. a. Das Volk in Waffen, 5. Aufl. 1899). Die gräfliche Linie wird geziert durch General Rüdiger von der Goltz, der sich 1919 vergebens um die vaterländischen Interessen im Baltikum kümmerte (Meine Sendung in Finnland und im Baltikum, 1920) und ein Jahr nach Hitlers Machtantritt Führer des Reichsverbandes deutscher Offiziere wurde. In jüngerer Zeit kam ein Graf von der Goltz ins Visier der Staatsanwaltschaft. Er war Devisenhändler der Kölner Herstatt-Bank, die maßgeblich durch (seine) Spekulationen zahlungsunfähig wurde und 1974 zwangsweise geschlossen werden mußte - eine riesige Pleite.

Unser Autor, Jahrgang 1926, ist in der Ökonomie ebenfalls sachkundig. Nach Verlagsangaben bekleidete er seit den 60er Jahren Führungspositionen in der deutschen Wirtschaft und veröffentlichte danach mehrere Romane. Im vorliegenden Buch, mehr Gesellschaftsroman als Wirtschaftskrimi, gibt er Einblick in unternehmerische Prozesse und menschliche wie auch unmenschliche Verhaltensweisen, die bei einem Generationswechsel von Firmeninhabern auftreten können.

Der Gründer eines in der Nachkriegszeit stetig gewachsenen bundesdeutschen Unternehmens der Branche Meßtechnik ist in den 90er Jahren ins Pensionsalter gekommen. Eine seiner beiden Töchter, geld- und machtgierig, drängt ihn, seinen Kindern das Firmenvermögen zu übertragen, damit sie die Führung des Unternehmens an sich bringen kann. Steuerersparnis ist der scheinbar plausible Vorwand. Die andere Tochter hat keinen geschäftlichen Ehrgeiz, will sich mit ihrem durchaus willkommenen Anteil - Dutzende Millionen Mark, für die sie keinen Finger gerührt hat - in Italien ein schönes Leben machen. Auch eine Erben-Mentalität. Der einzige Sohn des Chefs ist Schauspieler, kommt als Nachfolger ebenfalls nicht in Betracht.

Eine durchaus glaubwürdige Konstellation. Auch die Mittel, die von der skrupellosen Tochter und deren Bettgenossen angewandt werden, um den Patriarchen aus dem Sattel zu heben, passen in die Zeit, entsprechen der Mentalität eines maßgeblichen Teils der heutigen deutschen Gesellschaft. Eine anonyme Anzeige wegen Steuerhinterziehung, Lieblingsdelikt in der deutschen Wirtschaft, setzt einen profilierungssüchtigen Staatsanwalt auf die Spur des mutmaßlich kriminellen Altunternehmers, der in Wirklichkeit eine grundehrliche Haut ist, wie man sie heutzutage kaum noch findet.

Es kommt, wie es nach der Idee des Autors kommen muß: Der vom eigenen Fleisch und Blut verleumdete und von der Presse sofort gebrandmarkte alte Chef bekommt einen Herzinfarkt. Die mehr oder weniger lachenden Erben schwimmen im Geld, die böse Tochter wird größenwahnsinnig, kann den Hals nicht vollkriegen, bringt das Familienunternehmen an den Rand des Bankrotts. Es wird, wie könnte es anders sein, natürlich gerettet und mit Gewinn saniert. Die Aktien steigen wieder kräftig. Die Mittäter der bösen Tochter müssen ein wenig büßen (vorzeitige Entlassung wegen guter Führung winkt wie immer), Töchterchen selbst kommt gänzlich ungeschoren davon, landet weich bei einem honorigen US-Unternehmer der gleichen Branche, der den Seniorchef kannte und noch immer verehrt.

Je weiter der Roman diesem Schluß zueilt, desto kitschiger wird die Geschichte. Der Konflikt innerhalb der Familie des Unternehmers und die höchst unfeinen Machenschaften gegen ihn sind zwar etwas hausbacken dargestellt, werden aber literarisch beherrscht. Sobald jedoch der Patriarch das Zeitliche gesegnet hat, wird das Problem des Autors deutlich: Er will zu einem versöhnlichen Ende kommen, das die Familie weiter leben und die Firma intakt läßt, mithin für die Belegschaft sozial verträglich ist, wie es sich im Roman im Gegensatz zur Wirklichkeit gehört. Der Übergang zwischen üblem Spiel und gutem Ausgang ist rasch und wirkt so auffällig, daß die nachvollziehbaren vorangegangenen Teile des Romans diskreditiert werden.

Übrig bleibt das Hohelied vom braven Mann, dem Firmengründer, der stets sozial gedacht, seine Steuern redlich bezahlt, seinen Cheffahrer wie einen Menschen behandelt und seiner Chefsekretärin ein Haus hinterlassen hat. Rührend, wie sogar die fiese Tochter sich an ihren Vater erinnert, zu dessen Spruchweisheit diese gehörte: Der ärmste Mann ist der reiche Mann, der sein Leben lang an nichts anderes zu denken vermag als an die Mehrung seines Vermögens.

Hans Graf von der Goltz beschwört den Geist des edlen Unternehmers von altem Schrot und Korn, der die Bundesrepublik angeblich groß gemacht hat und den es nicht mehr oder kaum noch gibt. Es hat ihn wohl nie gegeben, denn auch unser braver Mann, so bei Goltz nachzulesen, hat in den Gründerjahren der bundesdeutschen Wirtschaft seine junge Firma durch eine Bilanzfälschung vor dem vorzeitigen Aus bewahrt, was nachträglich beschönigt wird, da der Zweck ja die Mittel heiligt, sofern der Schwindel funktioniert. So ist das kapitalistische Leben, genauer: das Leben von Kapitalisten, denen der Erfolg letztlich alles und die Moral schließlich nichts bedeutet. Es ehrt den Autor, daß er diese Wirklichkeit zwar zu verklären versucht, sie aber auch in ihrer Erbärmlichkeit darstellt.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 04/01 (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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