Eine Rezension von Licita Geppert
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Das weiße Bild des Todes

Kurt Aust: Das Jüngste Gericht
Roman.
Aus dem Norwegischen von Maike Dörries und Günther Frauenlob.
Gustav Kiepenheuer Verlag, Leipzig 2000, 409 S.

Ein eisiger 28. Dezember 1699 in Jütland, zwei Reisende zu Pferde: Ein Schneesturm zwingt Thomas von Boueberge, Professor der Philosophie, Theologie und Jurisprudenz aus Kopenhagen, und seinen jungen norwegischen Assistenten Petter Hortten in einem Wirtshaus Zuflucht zu suchen. Vorbei ist es mit den geplanten beschaulichen philosophischen Diskussionen im Hause des Lehnsgrafen Hans Schack zu Schackenburg, eines Freundes des Professors, mit dem die beiden den Jahrhundertwechsel begehen wollten. Statt dessen weht der eisige Wind sie in die bunt zusammengewürfelte Gruppe, die in dem Wirtshaus Schutz gefunden hat. Das Ambiente dieser Raststätte ist verwegen-malerisch, soweit es unter dem Schnee, der alles mit seinem blendenden Weiß bedeckt, zu erkennen ist. Eine Hand ragt aus dem Schnee - die brettharte, steifgefrorene, eingeschneite Leiche eines der Gäste zerstört nicht nur die Illusion von Geborgenheit, sondern bringt Angst und Verwirrung unter die Menschen, die von nun an - nach bewährtem Muster - in jedem Gegenüber den potentiellen Mörder vermuten müssen. Denn daß der Tod nicht auf natürlichem Wege eingetreten war, läßt sich schon bei flüchtigem Augenschein erkennen.

Für den Professor, nunmehr seiner philosophischen Abende beraubt, ist dieser Mord ein willkommenes Ereignis, seinen Scharfsinn und seine Kombinationsfähigkeit unter Beweis zu stellen. Zwar bewundert Petter dies sehr, für ihn und andere werden die Nachforschungen jedoch bisweilen lebensgefährlich, zumal ein zweiter, weit grausigerer Mord nicht lange auf sich warten läßt. Das unschuldige Weiß des Schnees, der sich immer höher auftürmt und die Weiterreise der Gäste verzögert, wird gebrochen durch die Zusammenballung von Haß, Ablehnung, Geheimnissen und Ränken. In dieser kleinen, abgeschlossenen Mausefalle erleben wir ein Universum an menschlichen Leidenschaften in positiver wie negativer Hinsicht. Und wir erleben deren Spiegelung in den beiden Protagonisten, Petter, der als Erzähler fungiert, und dem Professor selbst, die trotz aller deduktiven geistigen Verrenkungen lange brauchen, ehe sie die wahren Zusammenhänge begreifen. Dennoch gelingt es von Boueberge, die Aufklärung der Morde für seinen Assistenten zu einer Art kriminalistisch-psychologisch-philosophischer Lektion zu gestalten, in der alle zur Verfügung stehenden geistigen und materiellen Methoden und Kenntnisse der Epoche wie der Situation genutzt und zur Lösung des Falles eingesetzt werden. Der sowohl vom Wirt, auf der Grundlage des Nostradamus, und vom Pastor, auf der Bibel basierend, prophezeite Weltuntergang findet jedenfalls nicht statt.

Kurt Aust, gebürtiger Däne, in Norwegen lebend, debütiert mit diesem Roman. Er hat sich dabei ein Sujet gewählt, für das es reichlich Vorbilder gibt, sowohl was die Handlung und deren Motiv einer „geschlossenen Gesellschaft“ betrifft als auch die philosophischen Bezüge, an denen es im Buch selbstverständlich nicht mangelt. Diese beiden Komponenten hat er gekonnt zusammengefügt und mit den unterschiedlichsten Figuren besetzt, die teilweise skurril sind, aber immer glaubwürdig bleiben. Die Helden sind sympathisch, mit unverwechselbaren Eigenheiten ausgestattet. Thomas von Boueberge ist ein geheimnisvoller, nie ganz durchschaubarer geistvoller Kopf, der seiner Umgebung ebenso viele Rätsel aufgibt, wie er andererseits entschlüsselt. Bisweilen doziert er aufgeblasen wie ein Gockel und schulmeistert seine Umgebung, dann wieder ist er charmant und liebenswürdig. Die Leute sind hin und her gerissen in der Bewertung seiner Person, sie schwanken zwischen Vertrauen und Ablehnung, unabhängig davon, wieviel Schuld sie auf sich geladen haben. Petter ist quasi sein Biograph, sein Helfer und Schüler-Freund. Voll Vertrauen und Bewunderung, durchschaut aber auch er seinen Dienstherrn nie so ganz, obwohl er im nachhinein dessen Vorgehen durchaus zu deuten weiß und auch seine eigenen Überlegungen von Geist und Intelligenz zeugen.

Die Szenerie entspricht genau dem, was sich der historienfilmerfahrene Leser unter einem Wirtshaus des 17. Jahrhunderts vorstellt. Aust kennt sich gut aus in der Zeit, die er beschreibt, und ihrer Denkungsweise. Seine teilweise recht naturalistischen Schilderungen überschreiten dennoch nie die Grenze des guten Geschmacks, auch wenn sie ein deutliches Bild der Zustände zeichnen. Die Gedankengänge der Personen scheinen genau in diese Epoche zu passen, in der sich der absolute Wissenschaftsglaube, Aberglauben und echter Glaube zu einer recht seltsamen Melange verbinden.

Zum Glück für den Leser wird dieser Kriminalroman nie kopflastig, die Geschichte bleibt flüssig und gut zu lesen. Die Spannung und auch das Interesse an der Rahmenhandlung bleiben durchweg erhalten. Vielleicht sind Thomas von Boueberge und Petter Hortten ja noch weitere Abenteuer widerfahren?


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 04/01 (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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