Eine Rezension Eberhard Fromm

Aktive Sterbehilfe - ein gangbarer Weg?

Jean-Pierre Wils: Sterben
Zur Ethik der Euthanasie.
Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 1999, 246 S.

Als im vergangenen Jahr in den Niederlanden als einzigem Land in der Welt die aktive Sterbehilfe aus dem Bereich der rechtlichen Strafverfolgung herausgelöst und einer rein medizinischen Entscheidung zugeordnet wurde, gab es darauf recht unterschiedliche Reaktionen. Vor allem in der Bundesrepublik wurde in der Öffentlichkeit viel Ablehnung laut. Die Entscheidung des einzelnen zum Freitod mit ärztlicher Unterstützung rühre an Tabus, die man nicht überschreiten dürfe, hieß es sowohl aus kirchlichen wie aus politischen Kreisen.

Die vorliegende Arbeit gibt eine ausgezeichnete Einführung in die lang anhaltende, kontrovers geführte öffentliche Diskussion in den Niederlanden, die der Entscheidung vorausging. Doch sie leistet noch mehr: Es wird gezeigt, wie sich in vorsichtigen Schritten - zuerst noch kriminalisiert, dann nur noch zögerlich verfolgt, schließlich toleriert - eine Praxis der aktiven Sterbehilfe herausgebildet hat, die allen Warnungen und Unkenrufen zum Trotz die Berechtigung dieses Weges belegt.

Der Autor macht es sich und dem Leser nicht leicht. In drei mehr einführenden Kapiteln befragt er die Philosophie und die schöngeistige Literatur nach Ansichten über den Freitod und die Sterbehilfe und widmet sich dem Probleme des Schmerzes. Erst dann führt er in die Geschichte der Sterbehilfe ein, wobei er bei der Antike beginnt, über das Mittelalter und die Aufklärung bis in die Gegenwart vordringt und dabei auch nicht das „doppelte Gesicht“ der Sterbehilfe verschweigt. Verwiesen wird in diesem Zusammenhang auf den „Toleranzschub im Hinblick auf die Selbsttötung“ in der späten Antike, als die Götterwelt verblaßte; auf die theologischen Verbote und ihre Begründungen; auf die offensive Behandlung der Selbstbestimmung der Sterbenden durch die Aufklärung; auf die Ansichten eines Malthus und das Problem der „Ausmerzung“ von Kranken im Sinne der Eugenik und Bevölkerungspolitik des 19. Jahrhunderts; auf die historisch bedingte Tabuisierung des Themas Euthanasie in Deutschland.

Bei der Darstellung der Sterbehilfe in den Niederlanden betont Wils nachdrücklich, daß die heutigen Bemühungen um ein würdiges Sterben nicht mit den Praktiken des NS- Regimes verknüpft werden dürfen: „Wer dies tut, macht sich einer absichtlichen Täuschung der Öffentlichkeit schuldig.“ In einem kurzen Abriß wird sodann die Euthanasie-Debatte in den Niederlanden vorgeführt. Dabei wird Euthanasie definiert als „gezieltes, lebensbeendendes Handeln durch eine andere Person als die Betroffene auf Gesuch letzterer“ oder einfacher als „das Töten oder Sterbenlassen eines Menschen zum Zwecke der Minderung seines Leidens“. Mehrfach werden jene Bedingungen angeführt, die Voraussetzung für eine aktive Sterbehilfe sind, wie ein unerträgliches physisches oder psychisches Leiden, die Alternativlosigkeit des Leidens, die Dauerhaftigkeit des Todeswunsches sowie die Einwilligungsfähigkeit und Urteilskompetenz der Person, Konsultationen der beteiligten Ärzte usw. Interessantes statistisches Material verdeutlicht die gegenwärtige Praxis der Sterbehilfe. Der Autor betont, daß es in den Niederlanden zu keiner Verwilderung der Sterbehilfe gekommen sei. Zugleich verweist er auf den sensiblen Bereich der Todeswünsche von psychisch Kranken. Und er warnt davor, die Sterbehilfe zu einer unproblematischen Gewohnheit werden zu lassen. Man dürfe nie vergessen, daß lebensbeendende Maßnahmen stets problematisch seien und bleiben.

Im abschließenden Kapitel (Sterbehilfe - eine Kontroverse. Versuch eines Ratschlags) wird darauf verwiesen, daß heute - bezogen auf das Sterben - eine große „Stil- und Handlungsunsicherheit“ bestehe. Das Sterben habe sich aus einem „Prozeß des Lassens“ in einen „Prozeß intensiven Tuns“ gewandelt: „Das Sterben sollte zu einem selbstbestimmten Akt werden.“

Das Buch von Jean-Pierre Wils ist nicht mit der Absicht geschrieben worden, die Euthanasie-Diskussion anzuheizen. Vielmehr ist die sachliche, abgewogene Abhandlung der verschiedenen, auch kontroversen Ansichten dazu geeignet, sowohl Vorbehalte als auch Übertreibungen abzubauen. Auf jeden Fall kann man nach der Lektüre nicht mehr mit einfachen Schlagworten gegen die Sterbehilfe polemisieren.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 04/01 (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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