Eine Rezension von Walter Unze
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Ein „Rousseau der Musik“

Hansjuergen Schaefer: Joseph Haydn
Leben und Werk. Ein Konzertbuch.
Parthas Verlag, Berlin 2000, 224 S.

Dieses letzte Buch des 1999 verstorbenen Musikwissenschaftlers Hansjuergen Schaefer, der durch die von ihm herausgegebenen Konzertführer und seine langjährige Arbeit als Chefredakteur einer Musikzeitschrift über Jahrzehnte das Musikschaffen und Musikleben begleitet hat, ist einem der ganz großen Komponisten gewidmet: Joseph Haydn. Dem lange Zeit verbreiteten Haydn-Bild vom beschaulichen „Papa Haydn“ - so habe auch ich es noch im Musikunterricht der vierziger Jahre zu hören bekommen - setzt Schaefer sein Credo entgegen: „Haydns Musik in ihrer faszinierend natürlichen Popularität und zugleich ihrer musikalischen Dichte, in ihrer Schönheit, so oft ermunternden Heiterkeit hat zutiefst aufklärerische Dimensionen.“

Von dieser Grundauffassung her, eben Haydn als den „Rousseau der Musik“, als musikalischen Repräsentant der europäischen Aufklärung zu begreifen, werden Leben und Werk des Komponisten dargestellt. In diese Sichtweise paßt die Verbindung mit Gottfried Bernhard van Swieten (1733-1803), der als Diplomat Europa kennenlernte, sich die Ideen der Aufklärung zu eigen machte und später als Präfekt der Kaiserlichen Hofbibliothek in Wien wirkte und nicht unwesentlichen Einfluß auf die Reformpolitik des Kaisers Joseph II. nahm. Und aus einem solchen Verständnis heraus erklärt sich wohl auch die Begeisterung, die Haydns Musik im revolutionären Paris und im bereits weit entwickelten bürgerlichen England auslöste.

Das Buch ist in zwei deutlich getrennte Teile gegliedert, die jeweils mit einer Übersicht - einmal über die Hauptdaten des Lebens, zum anderen in Gestalt einer Werkeauswahl - eingeleitet werden. Damit kommt man den unterschiedlichen Interessen der Leser entgegen; der eine sucht nach einer Biographie, der andere will die Kompositionen erläutert bekommen.

Der biographische Teil (S. 11-112) erzählt chronologisch das Leben Haydns von der Geburt in Rohrau am 31. März 1732 über die harte Jugendzeit in Wien, seine Anstellung beim Grafen Morzin bis hin zu den langen Jahren als Kapellmeister bei den Fürsten Esterházy in Eisenstadt. Viel Wert wird dabei auf die Darstellung der musikalischen Entwicklung des jungen Haydn gelegt. Vor allem ist es Carl Philipp Emanuel Bach, der ihm half, „aus der Welt des späten Barock, des heiteren Rokoko in die expressive Welt des frühklassischen Sturm und Dranges zu finden“. Diese positive Wirkung des „Berliner“ Bachs steht allerdings in einem umgekehrten Verhältnis zur Aufnahme Haydns in Berlin. Hier herrschten die Musikauffassungen eines Kirnberger, Marpurg und Agricola vor. Erst in den achtziger Jahren kam auch aus der preußischen Hauptstadt Anerkennung, so durch Johann Friedrich Reichardt, der über den Wiener schrieb, daß wohl nie ein Komponist so viel Eigenheit und Mannigfaltigkeit mit so viel Annehmlichkeit und Popularität verbunden habe.

Nach dem Tod seines Dienstherrn 1790 wurde die Kapelle aufgelöst. Haydn blieb zwar nominell im Dienst der Esterházys, konnte jedoch nach Wien übersiedeln. Die nun folgenden zwei Jahrzehnte gehören zu den schaffensreichsten des Komponisten. „Wie süss schmeckt doch eine gewisse Freyheit“, vertraut er seiner langjährigen Freundin Marianne von Genzinger 1791 an und gesteht - trotz aller anstrengenden Arbeiten - „das bewußt seyn, kein gebundener diener zu seyn, vergütet alle mühe“ (vgl. S. 80). Im Mittelpunkt stehen die erfolgreichen Reisen nach England, die großen Alterssinfonien und die beiden Oratorien „Die Schöpfung“ und „Die Jahreszeiten“. Am 31. Mai 1809 starb Joseph Haydn in Wien.

Der zweite Teil des Buches (S. 113-224) enthält eine Vielzahl sachlicher Werkeinführungen. An der Spitze stehen die Sinfonien (S. 124-157), auf die sich der Autor besonders konzentriert. Ausführlich werden vor allem die Londoner Sinfonien (Nr. 93 bis 104) besprochen. Daneben erhalten auch die Streichquartette (S. 166-176) und die Klaviersonaten (S.181-189) einen besonderen Platz, nehmen sie doch zusammen mit den Sinfonien einen zentralen Platz in der Instrumentalmusik Haydns ein. Bei der Vokalmusik schenkt der Autor natürlich den Oratorien und auch den Messen bevorzugte Aufmerksamkeit.

Gerade dieser zweite Teil rechtfertigt es, die vorliegende Arbeit als Konzertbuch zu deklarieren. Im Unterschied zur Mehrzahl der Konzertführer, in denen die Werkerläuterungen im Zentrum stehen und die Biographie sich meist auf ein paar Daten beschränkt, macht der hier gewählte Weg, ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Leben und Werk herzustellen, einen überzeugenden Eindruck.

Und so gewinnt denn auch der Leser, selbst wenn er sich vorwiegend den Einführungen zu einzelnen Werken zuwendet, die Einsicht, daß er es hier mit einer außergewöhnlich schöpferischen Persönlichkeit zu tun hat. „Haydn“, so schreibt Schaefer, „der bescheidene, ordentliche, zurückhaltende Handwerker- und Bauernsohn, der in ganz unprätentiöser Frömmigkeit lebte und arbeitete, sich in konservative Lebensregeln als aristokratischer Bediensteter mühelos fügte, dann aber sich im neuen bürgerlichen Leben ... ebenso mühelos, aber endlich frei zurechtfand, seine Kunst im Umgang mit seinen Verlegern geschickt zu ,verkaufen‘ wußte, Konkurrenz-Situationen klug, manchmal mit beträchtlicher List begegnete, war und blieb ein Sonderfall.“


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 04/01 (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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