Eine Annotation von Licita Geppert
Woolley, Persia:
Ginevra
Tochter des Frühlings.
Aus dem Englischen von Hans J. Schütz.
Klett-Cotta, Stuttgart 2000, 488 S.

Die Artussage ist eine der großen volkstümlichen Überlieferungen des Abendlandes, die in immer wieder eigenen Fassungen, aus neuen oder alten Blickwinkeln immer wieder neu erzählt wird. Worin mag die Faszination dieses Sagenkreises bestehen, der sich auch die Rezensentin nur schwer entziehen kann? Ist es die Überwindung des menschlich Bösen durch das Gute, ist es die heraufbeschworene Kameradschaft, die - durch zahlreiche Kämpfe gefestigt - über die Jahre und Jahrzehnte bestehen bleibt und letztendlich den Stützpfeiler des britannischen Reiches bildet? Ist es die Gestalt des Artus, der den Rang eines Primus inter pares einnimmt? Oder ist es die geheimnisvolle Anziehungskraft des Mittelalters, die zur Zeit überall neu belebt wird? Es mag unendlich viele Gründe geben, allen gemeinsam ist aber die Hoffnung auf ein friedvolles, gesichertes Leben, die wiederum Ausdruck einer der Urängste des Menschen ist.

Persia Woolley hat, wie viele Autoren vor ihr, den Umfang einer Trilogie gewählt, um der Fülle des Stoffes gerecht zu werden. Die drei Bände behandeln in chronologischer Abfolge die Sage um den britannischen Hochkönig Arthur Pendragon aus der Sicht seiner Gemahlin Ginevra. Mag auch dies nicht unbedingt neu sein, so entwickelt Woolley doch einen ganz eigenen Zugang zu ihrer Heldin. Ginevra ist bei ihr die Tochter des Königs Leodegrance aus Rheged, dem heutigen Wales. Sie ist aufgewachsen mit den alten Riten und dem alten Glauben und muß sich in dem Spannungsfeld zwischen überlieferten Traditionen und Christentum zurechtfinden.

Im hier zu besprechenden Band 1 wird Ginevras Geschichte von der Jugend am Hofe ihres Vaters bis zur Hochzeit mit dem Hochkönig beschrieben. In diesen wenigen Monaten, die ihr von der Erkenntnis, daß die Heirat mit Artus nicht nur eine Ehre, sondern auch eine politische Notwendigkeit sowohl für ihren Vater als auch für das ganze Land darstellte, bis zur Hochzeit verbleiben, muß Ginevra einen bisweilen schmerzlichen Reifeprozeß vom jungen Mädchen bis zur würdevollen Hochkönigin durchlaufen. Die Ängste, Zweifel und Unsicherheiten, auch die anfängliche Abwehr des Mädchens hat die Autorin überzeugend, wenn auch sehr geradlinig, eingefangen und dargestellt. Woolley grenzt sich dabei bewußt von den christlichen Traditionen ab, die in Britannien seit dem Rückzug der Römer in einigen Regionen wieder dem alten Glauben gewichen waren, und verfällt dabei dennoch der christlichen Doktrin, die aus Merlin, dem großen weisen Druiden, einen angstgebietenden Zauberer macht.

Eine beglückende Kindheit verlebt Ginevra am väterlichen Hofe. Die Ehe der Eltern ist von Liebe und Achtung geprägt. Ihre Spielgefährten sind Brigit und Kevin, als Kinder irischer Einwanderer Unterpfand von deren Treue zu Rheged und gleichzeitig Ginevras Ziehgeschwister. Brigit, die Mütterliche, wird Ginevra auch an Artus' Hof begleiten, Kevin dagegen war aus ihrem Leben verschwunden, nachdem ihrer beider Zuneigung zueinander politischen Erwägungen geopfert werden mußte. Ginevra ist wild und eigenständig. Durch den Vater in das Geschäft des Regierens eingeweiht, erregt sie nicht überall nur Wohlgefallen mit ihrer aufrichtigen, bisweilen auch unbedachten Art, ihre Meinung kundzutun. Amüsant ist die römische Matrone Lavinia, die ihr (allerdings nicht ganz nachvollziehber, weshalb) als Anstandsdame an die Seite gestellt wird und in ihrem steten Bemühen, aus dem Wildfang eine Dame zu machen, einige komische Effekte erzielt. Ginevra ist jedoch zum Herrschen geboren, wie ihr auch Nimue, eine Priesterin alten Glaubens, vorhersagt. Diese Prägung läßt sie im richtigen Augenblick das Richtige tun. So gewinnt sie völlig unverkrampft die Zuneigung des Hochkönigs, und aus der gefürchteten Zwangshochzeit wird eine Liebesheirat, auch wenn Artus die Zärtlichkeit vermissen läßt, die Ginevra wie jede Frau erhofft.

Im übrigen bevölkert das übliche Personal den Hof des Hochkönigs. Neben Merlin, dem weisen Seher und Ratgeber, agiert Morgan, Artus' Halbschwester, als seltsam launische Dame vom See. Nimue, sonst eher alternierend zu Morgan eingeführt, wirkt hier parallel als Geliebte Merlins und Stimme der Göttin. Bedivere ist und bleibt der treue Freund und Ziehbruder des Hochkönigs, der humpelnde Kay verbleibt wie immer bei Hofe und versieht zuverlässig seine Verwaltungsaufgaben (Woolley stattet ihn allerdings mit einem gewissen Hang zur Protzerei aus). Artus ist Meister im Verteilen der Aufgaben an die richtigen Personen. Es gelingt ihm, über alle Stammesstreitigkeiten hinweg Bündnisse zu schmieden. Schon in dem ganz jungen Mann, dem die Hochkönigswürde völlig unerwartet zuteil wurde, kann man den machtbewußten, zielgerichtet handelnden Herrscher erkennen. Das Ehe- und Machtbündnis beginnt also vielversprechend.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 03/01 (c) Edition Luisenstadt, 2001
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