Eine Rezension von Hans Aschenbrenner

„Inhalte vergehen, Gesten bleiben“

Ulrich Sollmann: Schaulauf der Mächtigen
Was uns die Körpersprache der Politiker verrät.
Droemersche Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf., München 1999, 201 S.

Erkennen Sie, wer das ist? „Die Stirnrunzeln sind - inzwischen wohl - weltweit bekannt. Sie werden getragen von kraftvollen Augenbrauen. Diese als unverwechselbare, körperliche Kennzeichen, extrem hochgezogen, sollen den Vorhang der Anstrengung zur Seite schieben. Sie sind aber selbst Zeichen der Anstrengung. Sie lüften gleichsam, auch wenn der Kopf wie so oft nach vorn gesenkt ist, den Schleier des Erstaunens, das diesen Mann, würde er in Ruhe über sich nachdenken, selbst befallen müßte. Jeder kann das Erstaunen dieses Politikers sehen.“ Es ist Joschka Fischer, den der Bochumer Psychotherapeut und Sozialwissenschaftler Ulrich Sollmann anhand der Körpersprache beschreibt. Fischer „hat es geschafft. Vom Straßenkämpfer zum Staatsmann gewandelt. Die Schule nicht beendet, keinen ,richtigen‘ Beruf erlernt, vertritt er jetzt die außenpolitischen Belange Deutschlands. Ein Profi. Ein Autodidakt ...“

Aus dem Blickwinkel seiner Wissenschaft hat Sollmann sie unter die Lupe genommen: insgesamt 22 Personen, die mehr oder weniger prononciert das politische Geschäft betreiben - „gestandene“ und „lernende“, ja sogar „ausgestiegene“ Politiker. Der Bundeskanzler und der Ex-Bundeskanzler sind ebenso darunter wie verschiedene Minister und Ex-Minister. Um die Körpersprache und Handlungsmuster zu analysieren und daraus Rückschlüsse auf die jeweiligen Persönlichkeiten zu ziehen, hat der Autor beobachtet, wie die Politiker in Fernsehberichten und auch auf Fotos herüberkommen. Gründlich hat er zudem die Berichterstattung in der als seriös eingestuften Presse verfolgt. Und nicht zuletzt hat er anderthalb Jahre lang öffentliche Auftritte dieser Politiker besucht.

Beim Lesen der in dem Taschenbuch enthaltenen Einzelbeiträge fällt schnell auf, daß der Autor von einer Dominanz des Visuellen ausgeht, wie sie sich im politischen Alltag immer mehr durchzusetzen scheint. Das zeigt sich schon in Überschriften wie „Kohl - der Körper“ oder „Inhalte vergehen, Gesten bleiben - der Medienkanzler“. Wahlkämpfe und Politik haben sich zum Medienspektakel gewandelt. Die Politiker selbst inszenieren sich als Medienereignis, und Politik wird zu einem Teil der Unterhaltungsindustrie. Und auch die Medienkonsumenten lauschen lieber der „Sinfonie der Sinne“ („Die Zeit“) als einem trockenen Parteiprogramm. Sollmann verweist auf SPD-Berichte, denen zufolge die Bürger daher auch nur zu acht Prozent die politischen Inhalte wählen. Mehr denn je, so resümiert er, ist heute die visuelle Regie und nicht die politische Reflexion Trumpf. Die bildhafte Medienwahrnehmung hält er, auch wenn die „Körpersprache nur schwer meßbar“ ist, insofern für aussagekräftig, „als sie die Politiker oft unter Streß oder gerade in einer spontanen Bewegung erfaßt und abbildet. Diesem Streß können sich auch die besttrainierten Politiker nicht entziehen. Man reagiert körpersprachlich unter Streß so, wie man persönlich gestrickt ist. Die bildhaften Darstellungen sagen daher viel über die Person, ihre Gefühle, ihre innere Haltung, ihre Lebenserfahrung aus. Dieser Raum des inneren Erlebens ist gewissermaßen im Körper eingraviert. Wiedererkennbar. Nicht wegzutrainieren - wohlgemerkt unter Streß.“

Ulrich Sollmann versucht also herauszufinden, welche Charaktere hinter den Medieninszenierungen, hinter der Fassade stecken. Nicht als der Alltagspsychologe, der dem Leser plausible Erklärungen für jede Geste, jeden mimischen Zug des Politikers gibt. Auch nicht als derjenige, der den Politikern in die Seele, in das Innerste schauen kann. Ihm geht es nicht darum, sie zu sezieren, quasi in ihre körpersprachlichen Bestandteile auseinanderzudividieren. Vielmehr interessiert ihn, in welchem Kontext der jeweilige Politiker bzw. seine Körpersprache Bedeutung erlangt. Er befaßt sich mit dem Politiker „als jemand, der zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort bedeutungsvoll in Erscheinung tritt. Und wirkt.“ Ins Visier nimmt er unter diesem Hauptaspekt Helmut Kohl, Gerhard Schröder, Oskar Lafontaine, Joschka Fischer, Rudolf Scharping, Franz Müntefering, Jürgen Trittin, Wolfgang Thierse, Peter Struck, Rezzo Schlauch, Otto Schily, Hans Eichel, Andrea Fischer, Bodo Hombach, Walter Riester, Christine Bergmann, Edelgard Bulmahn, Herta Däubler-Gmelin, Heidemarie Wieczorek-Zeul, Andreas Nahles, Gunda Röstel, Antje Radcke.

In keinem Fall hat der Autor die von ihm charakterisierten Politiker und Politikerinnen persönlich kennengelernt, nie hat er selbst mit ihnen gesprochen. Trotzdem wählte er als Form, wie im Vorwort mehrfach unterstrichen wird, „das Porträt, um dem Menschen im politischen Alltag gerecht zu werden. Um ihn in der Gesamtschau der vielfältigen Berichterstattungen, Fotos und Fernsehberichte zu einem plastischen Wesen zusammenzufügen, das man sich wirklich vorstellen kann. Jede Zeitung, jeder Fernsehkanal greift nur einen politischen Aspekt, eine politische Richtung, der man sich verpflichtet fühlt, auf. Der Politiker als Mensch ist aber viel mehr und nicht nur durch einen einzigen Blickwinkel zu erfassen.“ Porträts im eigentlichen Sinne des Wortes konnten angesichts des Verzichts auf direkte persönliche Begegnungen wohl kaum entstehen. Dennoch sind bei dem Vorhaben interessante und aufschlußreiche, wenn auch mitunter von einer etwas sehr gutwilligen Sicht beeinflußte Politiker-Analysen, denen etwas mehr Biß nicht geschadet hätte, herausgekommen. Sich in dem Metier, das Sollmann zweifellos beherrscht, ein wenig auszukennen, kann durchaus von Nutzen sein: im täglichen Leben ebenso wie mit Blick auf die Politik, wo vielleicht schon Medienberater den Akteuren empfehlen, „ihre Körpersprache genauso wie ihre Argumente einzuüben, damit der Medienauftritt eine bis ins feinste Detail gelungene Inszenierung wird“.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 03/01 (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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