Eine Rezension Jutta Aschenbrenner
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Den Wald der Kräne und vieles mehr im Visier

Der Potsdamer Platz
Die größte Baustelle Europas.
Nicolaische Verlagsbuchhandlung, Berlin 1999,
aktualisierte Neuauflage 2000, 136 S.

Diese Zusammenstellung von 60 Farbfotografien läßt den Betrachter nachvollziehen, wie im Herzen Berlins, auf dem traditionsreichen Potsdamer Platz, durch die Bombardements im Zweiten Weltkrieg in Schutt und Asche gelegt und fast ein halbes Jahrhundert Grenzbrache zwischen zwei Welten, ein neues Stadtviertel mit einer modernen Architektur Gestalt annahm, wo wieder über und unter der Erde großstädtisches Leben pulsiert. Die einzelnen Bauphasen beim Neuaufbau des Areals hat der aus Toulon stammende Fotograf Pierre Adenis, der während der gesamten Zeit Zutritt zu allen Teilbereichen der Baustelle hatte, mit seiner Kamera festgehalten. Nicht fehlen konnten dabei Aufnahmen von offiziellen Ereignissen wie der Grundsteinlegung für das Daimler-Benz-Projekt im Oktober 1994, für das Sony Center im Oktober 1996, auch nicht Fotografien von der debis-Einweihungsfeier im Atrium der debis-Zentrale im Oktober 1997 und von der Eröffnung der Einkaufspassagen „Arkaden“ Anfang Oktober 1998. Bemerkenswerter jedoch sind jene Fotos vom alltäglichen Baugeschehen. Denn gerade sie sind es, die die plastischen Eindrücke vom Werden und Wachsen des Potsdamer Platzes der Neuzeit vermitteln. Zu jedem Bild gibt es einen ganz knappen, präzisen Text mit exakter Zeitangabe. So ist ganz nebenbei auch so etwas wie eine Chronologie des Geschehens entstanden.

Noch vor dem ersten Spatenstich hat Pierre Adenis, seit 1987 Wahlberliner, den Potsdamer Platz als ein Tätigkeitsfeld für sich entdeckt. Seitdem begleitete er dann mit seiner Kamera die Verwandlung der Brache zu einem neuen Zentrum Berlins. Als ein Ergebnis bei dieser Motivsuche entstand dieser opulente Band mit den faszinierenden Bildern. Das Besondere daran ist, daß Baugruben, Kräne, Sandberge, Betonskelette sowie die fertiggestellten Gebäude mit den Menschen, die dies alles zuwege brachten, aus effektvollen Blickwinkeln fotografiert wurden. Als Insider boten sich dem Fotografen natürlich überraschende Perspektiven, wie sie die Baustellenpilger von der Aussichtsplattform auf der roten Info-Box niemals haben konnten.

Zu den aussagestarken Fotos gehören die Aufnahme eines Tauchers, der im mit Eisschollen bedeckten Grundwassersee der Daimler-Benz-Baustelle das Betongießen für die Fundamente überwacht, von Stahlflechtern, von gefährlichen Schweißarbeiten. Dazu zählt auch die Verschiebung des unter Denkmalschutz stehenden Roten Salons, des sogenannten Kaisersaals, um ca. 75 Meter westwärts seines ursprünglichen Platzes. Er war einst die Attraktion im 1908 eröffneten Hotel Esplanade. Mehrmaliges Motiv ist das Weinhaus Huth, einmal mit zahlreichen Ingenieuren auf dem Dach des Gebäudes vor dem Hintergrund der östlichen Stadtmitte. Effektvoll sind die Fotos aus der ungewohnten Sicht einer Baugrube heraus bzw. vor einem Wald von Kränen. Es ist faszinierend, wie diese gigantische Technik das Bild der Mammutbaustelle bestimmt. Festgehalten für die Nachwelt wurden aber auch Feuerwerke oder Open-Air-Spektakel mit dem Pyro Space Ballett.

Erstmals 1999 veröffentlicht, ist die Publikation nun in einer zweiten Ausgabe erschienen. Dabei wurden lediglich einige der Fotos ausgetauscht, um auch Aufnahmen aus den Jahren 1999 und 2000 unterzubringen. Den Abschluß bildet jetzt eine Aufnahme mit Blick über den Potsdamer Platz vom September 1999; von links: Staatsbibliothek und Philharmonie, Stella-Musical-Theater, Hyatt-Hotel, Schirmdach des Sony Center, Kuppel des Imax-Kinos, Hochhäuser von Helmut Jahn, Hans Kollhof und Renzo Piano sowie die Info-Box.

Das Vorwort zu dieser Bilddokumentation - wie die Bildtexte in Deutsch, Englisch und Französisch abgefaßt - auf Hochglanzpapier über die jüngste Geschichte des Potsdamer Platzes schrieb der Publizist und Berlinkenner Bernhard Schulz.

Das neuerbaute Viertel auf dem Potsdamer Platz ist von vielen Hauptstädtern und mehr noch von den Touristen längst angenommen worden. Der tägliche Besucherstrom mag dafür Beleg sein. An Baustellen wird es in Berlin auch künftig gewiß nicht mangeln. Die Großprojekte Leipziger Platz und Alexanderplatz schicken sich an, man mag das begrüßen oder nicht, dem Potsdamer Platz „nachzueifern“. Wird dies für Pierre Adenis, der sich während seiner Korrespondententätigkeit für die Pariser Fotoagentur SIPA PRESS u. a. dem Schwerpunkt Stadtentwicklung Berlin widmete, eine erneute Herausforderung sein?


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 03/01 (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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