Eine Rezension von Bernd Grabowski

Eine überaus fleißige Arbeit

Eva-Maria Klöther:
Denkmalplastik nach 1945 bis 1989 in Ost- und West-Berlin
Theorie der Gegenwartskunst.
Herausgegeben von Prof. Dr. Matthias Bleyl.
LIT Verlag, Münster 1998, Bd. 12, 340 S.

Ich hatte gerade begonnen, mich mit Eva-Maria Klöthers „Denkmalplastik ...“ zu beschäftigen. Da kam mir einer meiner Professoren von der Universität in den Sinn. Beim Weiterlesen hörte ich ihn immer wieder sagen: „Wir haben es hier mit einer überaus fleißigen Arbeit zu tun.“

Die Autorin, die mit diesem Buch eine breite Leserschaft mit ihrer 1997 von der Freien Universität Berlin angenommenen Doktorschrift bekannt macht, hat in der Tat mit viel Fleiß eine Fülle von Informationen über Kunstwerke im öffentlichen Raum, über kulturpolitische Beschlüsse und Richtlinien sowie einige biographische Angaben zu Bildhauern und ihren Modellen zusammengetragen. Wo findet man sonst so umfassendes Material ausgebreitet in einem Band? Damit hat die Autorin sich wahrlich ein großes Verdienst erworben.

Seinen besonderen Reiz gewinnt das Buch dadurch, daß nicht nur schlechthin die neuere Denkmalplastik einer Stadt vorgestellt wird. Es handelt sich ja größtenteils um Kunstwerke von staatlichen oder kommunalen Auftraggebern zweier unterschiedlicher politischer wie gesellschaftlicher Systeme. So ist zu begrüßen, daß auch Einblicke in die jeweilige Kulturpolitik und herrschende Kunstauffassungen gegeben werden. Praktischerweise werden die Denkmale nach ihrem Aufstellungsort getrennt nach Ost- und West-Berlin behandelt, während sonst die Autorin chronologisch nach dem Aufstellungsjahr gliedert. Daß sie dabei jeweils das Ende eines Jahrzehnts als Zäsur wählt, dürfte eher formale als inhaltliche Gründe haben. Auch war kein Maßstab sichtbar für die Entscheidung, einzelne Künstler und die künstlerisch dargestellten Persönlichkeiten nur namentlich (einige sogar ohne Vornamen) zu nennen, andere dagegen mehr oder weniger ausführlich vorzustellen. Ausschlaggebend dafür war offenbar der persönliche Wissensstand der Autorin.

Bestärkt durch die Akzeptanz ihres Manuskripts als Inauguraldissertation, könnte die Autorin annehmen, sie hätte einen Nachweis qualifizierter wissenschaftlicher Arbeit vorgelegt. Doch davon scheint sie mir weit entfernt zu sein. Wir haben es hier vielmehr mit einem brauchbaren Entwurf zu tun, der vor der Drucklegung noch einer gründlichen Überarbeitung bedürfte.

Da sind die orthographischen, grammatikalischen und Interpunktionsfehler, vor allem die unkorrekten Schreibweisen von Namen und Titeln. Auch sachliche Fehler sind zu nennen. Als großen Mangel empfinde ich die Abstinenz weiterführender Forschung sowie eigener Gedanken und Wertungen. Denn das Buch beschränkt sich weitgehend auf die unkritische Wiedergabe von Aussagen und Fakten aus der Literatur. Eine Auseinandersetzung mit Auffassungen und Schlußfolgerungen anderer Autoren findet nicht statt. Von einem eigenständigen Beitrag zur „Theorie der Gegenwartskunst“, wie es die Schriftenreihe verspricht, kann nicht die Rede sein.

Zweifellos hätte jener Professor, wäre ihm das Manuskript vorgelegt worden, den Fleiß hervorgehoben, mit dem das Material zusammengetragen worden ist, um überhaupt etwas Lobendes sagen zu können. Dann wäre ohne weitere Umschweife sein Urteil über die ungenügende Qualität gefolgt. Etwas Nachsicht übte er lediglich bei Studenten im ersten Semester. Doch ich bin mir nicht sicher, ob in diesem Falle der Bonus eines Studienanfängers ausgereicht hätte, schonende Zurückhaltung zu üben.

Da wird Wilhelm Pieck innerhalb von fünf Wochen dreimal zum Präsidenten der DDR gewählt: am 8. Oktober, am 11. Oktober und am 11. November 1949. Ebenfalls kommentarlos ist Brecht mit vier Varianten seines Vornamens bedacht: Berthold, Bertold, Bertoldt und Bertolt. Unsicher ist die bei Truman und Heuss, konsequent schreibt sie dagegen stillschweigend immer Willi Lammert, obwohl die von ihr benutzten Quellen den Vornamen auf Will verkürzen. John Schehr sei mit zwei Gräbern auf dem Friedhof Friedrichsfelde vertreten. Ihn zählt die Autorin wie auch Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, Ernst Thälmann und Rudolf Breitscheid, Franz Mehring und Franz Künstler neben Pieck und Ulbricht zu den „prominenten Politikern der DDR“. Sie hängt dem nicht selten anzutreffenden Irrglauben an, Thälmann sei jahrelang im KZ Buchenwald inhaftiert gewesen. Weniger häufig dagegen begegnet man ihrer - selbstverständlich von anderen übernommenen - Ansicht, die Verhaftung Thälmanns 1933 sei gleichbedeutend mit der Zerschlagung der Organisation der KPD gewesen.

Manche Straßennamen scheint sie nur vom Hörensagen zu kennen. Angegeben wird meist die - teilweise willkürlich veränderte - Bezeichnung, die offenbar in der betreffenden Quelle gefunden wurde, und zwar unabhängig davon, ob der Name heute gilt oder ob er zur Zeit der Denkmalaufstellung gebräuchlich war. Die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) kommt in dem Buch nicht nur in mehreren Schreibarten vor, sondern zugleich mit unterschiedlichen Gründungs- und Auflösungsdaten. Daß sich das 1953 gebildete Komitee der Antifaschistischen Widerstandskämpfer anfangs keineswegs als Organisation verstand, scheint die Autorin einfach nicht zu wissen. In einen Topf wirft sie Spartakusgruppe und Spartakusbund. Den DDR-Kulturminister erhebt sie zum Kultusminister, einen 1. Sekretär zum Ersten Sekretär. Die MASCH, die Marxistische Arbeiterschule, kürzt sie eigenwillig zu Marsch ab. Die 5 Pfennig Kulturabgabe wertet sie zum Kulturgroschen auf. Sie äußert sich zur DDR-Verfassung von 1949 und zitiert dabei nichtsahnend den Text von 1968. Ähnlich vermengt sie auch Kampfgruppen und Grenztruppen.

Immer wieder verschenkt sie Möglichkeiten, wissenschaftlich zu forschen und die Ergebnisse darzustellen. Ohne dem Problem nachzugehen, stellt sie lapidar fest, daß die Literatur für die Aufstellung des Nikos-Beloyannis-Denkmals drei verschiedene Jahre ausweist: 1952, 1956 und 1972. Wo die herangezogene Publikation unbekannte Auftraggeber verzeichnet, weiß sie, wer das Künstlerhonorar gezahlt hat - Erläuterung: Fehlanzeige.

Kaum geht sie darauf ein, welche Denkmäler wann, warum und auf wessen Betreiben beseitigt wurden. Der Grund liegt wahrscheinlich in ihrer Vorstellung, alle in den Sachbüchern anzutreffenden Kunstwerke haben auch in der Realität ihren Platz behalten. Die erwähnten Ostberliner Schulen tragen in dem Buch noch ihren stolzen revolutionären Namen - so wie in der benutzten DDR-Literatur.

Auch der Anhang scheint nicht durchdacht zu sein. Eine Auflistung von 589 Fotos von Denkmälern, die im Text erwähnt sind, hat wenig Sinn. 31 Abbildungen davon sind von der Dissertation in diese Veröffentlichung aufgenommen worden, großenteils mit zwei Aufnahmen von ein und derselben Plastik. Über die Dopplungen wie über die getroffene Auswahl ließe sich streiten. Dagegen hätte eine Übersicht aller betreffenden Denkmäler, versehen mit einigen knappen Daten, sehr wohl eine Berechtigung gehabt. Schmerzlich vermißt der Nutzer jegliches Register. Zum mindesten ein Personenverzeichnis ist bei einem solchen Werk unentbehrlich, um leicht nachschlagen zu können.

Vom Fleiß der Autorin zeugt das umfangreiche Literaturverzeichnis. Doch weist es diverse Zufälligkeiten auf. So ist mehrmals das alphabetische Prinzip verletzt worden. Manche Spezialabhandlung oder den Saur, das Standardwerk „Allgemeines Künstler-Lexikon“, sucht man vergebens. In den bibliographischen werden Kommissionen in Leitungen umbenannt. Bei einem undatierten Zeitungsartikel gibt es nicht einmal Spekulationen, welches Blatt ihn wohl gedruckt haben mag. Ziemlich diffus wirkt: „Unterlagen des Bezirksamtes Zehlendorf, Abteilung Volksbildung“. Mehrfach taucht ein Periodikum namens „Berliner Zeitung am Abend“ auf. Wer ahnt schon, daß die Drucke von DDR-Gesetzen sowohl unter „G“ wie „Gesetzblatt“ aufgeführt sind als auch unter „R“ wie „Regierungskanzlei“, die als Herausgeber der Gesetzblätter fungierte, und unter „S“ wie „Staatsverlag“, der die Gesetzestexte gedruckt herausgab. Und wer vermutet, daß die Literaturliste sowohl das Kommunistische Manifest von Marx und Engels wie auch eine Veröffentlichung zum antifaschistischen Widerstand von Hans-Rainer Sandvoß unter „St“ aufführt. Denn Theo Stamm hat die betreffende Manifestedition besorgt, und Sandvoß ist zu Standvoß mutiert.

Bedauernswert finde ich den Verzicht, Vollständigkeit der in Betracht kommenden Objekte anzustreben. Der Grund dafür seien Unvermögen und mangelnder Wille gewesen, wie die Doktorandin freimütig bekennt. Das hat der Herausgeber der Schriftenreihe nicht bemerkt. Überhaupt scheint er sich das Manuskript nur flüchtig angesehen zu haben, bevor er sich für den Druck entschied. Denn unzutreffend behauptet er in seinem Vorwort: „Die Autorin bemüht sich um eine möglichst vollständige, erläuternde Bestandsaufnahme ...“

Zu wünschen wäre - verbunden mit einer überarbeiteten Fassung des vorliegenden Teils - ein zweiter Band, der die gesamte Denkmalplastik im vereinigten Berlin seit 1990 beleuchtet und sich nicht nur durch einen immensen Fleiß seines Verfassers auszeichnet.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 03/01 (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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