Eine Rezension von Helmut Caspar

Fontanes verschollene Manuskripte

Manfred Horlitz (Hrsg.):
Vermißte Bestände des Theodor-Fontane-Archivs
Eine Dokumentation im Auftrag des Theodor-Fontane-Archivs.
Potsdam 1999, 235 S.

Im Jahr 1935 wurde in Potsdam das Theodor-Fontane-Archiv aus Briefen und Manuskripten gebildet, die die Erben des Romanciers den Provinzialbehörden überlassen hatten. Die wertvollen Archivalien wurden seinerzeit dem Brandenburgischen Schrifttumsarchiv zugeordnet, und schon 1937 konnte ein erstes Verzeichnis publiziert werden. Noch vor Beginn des Zweiten Weltkriegs gelang der Erwerb weiterer Briefe und Manuskripte, die von Fontane-Forschern rege benutzt wurden. Herbe Verluste indes mußte das Archiv, das 1944 seine letzten Ankäufe tätigen konnte, am Kriegsende 1945 und in der frühen Nachkriegszeit durch unsachgemäße Lagerung, Plünderung und Diebstahl hinnehmen. Der langjährige Archivleiter Manfred Horlitz spricht in der Dokumentation von 75 Prozent der seinerzeit ausgelagerten Originalhandschriften, die unter nicht geklärten Umständen verschwunden sind. Das Restarchiv sei 1947 der neu gegründeten Brandenburgischen Landesbibliothek in Potsdam zugeordnet worden. Glücklicherweise sei es gelungen, Hunderte Fontane-Handschriften, darunter auch solche aus dem Altbestand, zurückzubekommen. Dennoch würden zahllose jetzt im Verlustkatalog vermerkte Originalbriefe des „Wanderers durch die Mark Brandenburg“, seiner Familie und seines Freundeskreises fehlen, außerdem rund 3 000 Seiten handschriftliche Entwürfe und Manuskripte für Prosaarbeiten und 226 Gedichtentwürfe, sodann Hunderte Bücher aus Fontanes Handbibliothek sowie Gemälde, Skulpturen, Medaillen und andere Realien gesucht. Unabhängig davon, ob diese Archivalien durch Kriegsereignisse zerstört wurden oder infolge von Plünderung oder Diebstahl den Besitzer wechselten, sei festzustellen, daß es sich hierbei für das Land Brandenburg um Verluste von öffentlichem Kulturgut handelt, das nicht nur von regionaler, sondern von nationaler Bedeutung ist, so Horlitz.

Glücklicherweise ging nach dem Krieg nicht alles im Orkus unter, und so tauchten später viele ursprünglich aus Potsdam stammende Handschriften im westdeutschen Autographenhandel der Bundesrepublik Deutschland auf und wurden für öffentliche Bibliotheken angekauft. Hilfreich für das Potsdamer Fontane-Archiv war die Überlassung von Kopien sowie von Originalen als Dauerleihgaben. Durch Leihgaben, Tausch und systematische Ankäufe entwickelte sich die Sammlung, die 1992 in die Rechtsträgerschaft des Landes Brandenburg überging, zur führenden Forschungsstelle über den bedeutenden Schriftsteller. Es bleibt allerdings festzuhalten, daß Fontanes Hinterlassenschaft über 60 öffentliche Einrichtungen verstreut ist, was die wissenschaftliche Edition seiner Werke nicht gerade erleichtert.

Das Fontane-Archiv versteht nach den Worten seiner Leiterin, Hanna Delf von Wolzogen, die Dokumentation der vermißten Bestände als eine Vorarbeit für ein noch zu schaffendes Gesamtverzeichnis aller nachweisbaren Fontane-Handschriften. Daß es sich zum Teil um hochkarätige Aufzeichnungen handelt, von denen man jetzt nur noch Signaturen und Seitenzahlen , bei manchen Briefen und Manuskripten auch durch spätere Abschriften und Kopien den Inhalt kennt, geht aus den nach Themen, Daten und Empfängern gegliederten Verlustanzeigen hervor. Manchmal sind es nur einseitig oder doppelseitig beschriebene Blätter, manchmal auch Konvolute und vollgeschriebene Hefte, aus denen Forscher, sollten sie die Papiere irgendwann wieder in die Hand bekommen, wozu ja das Verlustverzeichnis beitragen will, sehr gut auch Fontanes Gedankengänge und seine intensive Arbeit am Manuskript nachvollziehen können.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 03/01 (c) Edition Luisenstadt, 2001
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