Eine Rezension von Eberhard Fromm

Obszön: ja. Geschichtsbuch: nein

Eckhard Henscheid/Gerhard Henschel:
Jahrhundert der Obszönität
Alexander Fest Verlag, Berlin 2000, 607 S.

Anfänglich ist man neugierig, dann amüsiert, aber bald verärgert, zum Schluß ratlos. Was da beginnt als eine ganz andere Art der Jahrhundertbetrachtung, was als einzelne Satire noch belustigt oder auch provoziert - das wird auf 600 Seiten zum ungenießbaren, da aussagelosen Wälzer. „Wir bitten die Leser hier also freundlichst, unserem Buchtitel nicht mehr Verantwortung aufzubürden, als ihm gebührt, auch wenn er besser bedacht sein sollte als fast alle uns bekannten Jahrhundertnamen“, erklären die Autoren einleitend mit schlecht gespielter Bescheidenheit. Es soll nach ihrem Willen ein „Obszönitätsgeschichtsbuch“ sein, das von so mancher Schande unseres Jahrhunderts zeugt. Offensichtlich liegen die meisten Schandtaten in den letzten zwanzig Jahren, denn beinahe die Hälfte des Buches handelt über die Zeit zwischen 1980 und 1999.

Der zeitliche Rahmen reicht von der Affäre um den französischen Offizier Dreyfus bis zum Schicksal des Fotomodells Anna Nicole Smith. Meist geht es um Personen, kaum um Ereignisse oder gar Entwicklungsprozesse dieses Jahrhunderts. Über viele Seiten liest sich das Buch wie der Privatkrieg gekränkter Intellektueller gegen alle möglichen, vorwiegend deutschen Dichter und Journalisten, Politiker und Philosophen usw.

„Dichter, die sich von revolutionärem Elan erfassen ließen ..., haben selten etwas anderes als brutalen Schund produziert“, wird da kühn verkündet, um dann über alle möglichen Repräsentanten der Literatur herzuziehen. Das reicht von „Heinrich Heine mit seiner Schnulze vom erträumten Kuß des schönen Vaterlandes“ über Thomas Mann mit seinem „räudig ekelhaften Greisengeschmadder“ bis zu Günter Grass, der mit seinen Arbeiten die Literatur nur niedertrampele, denn: „Jedes Buch von Günter Grass nimmt hundert besseren den Platz weg.“

Ähnlich werden Philosophen - von Kant bis Heidegger - und Politiker - von Kennedy bis Rau und Fischer - charakterisiert.

Besonders haben es den Autoren solche Personen angetan, die im Mittelpunkt des Medieninteresses stehen, so z. B. Reich-Ranicki oder auch die „dumme halbadelige Gans“ Lady Di, bei der man ihr „leider etwas zu spät erfolgtes Ableben“ (S. 509) bedauert.

Erstaunlich ist, daß bei der krampfhaften Suche nach Obszönitäten die frühere sozialistische Welt und auch die DDR so wenig auftauchen. Die offensichtliche Unwissenheit über diesen Bereich des Jahrhunderts wird erkennbar, wenn man z. B. liest: „Daß die krumme Banane von Beginn an und allzeit weit vor allen etwaigen Freiheitsverbesserungen im Fadenkreuz der Zielversionen so gut wie sämtlicher Bewohner des Beitrittsgebietes stand und fungierte, das sollte ... schon nachdenklicher, werweiß betrüblicher stimmen.“ Nachdenklich und betrüblich muß stimmen, daß so etwas Unsinniges zehn Jahre nach der deutschen Vereinigung noch immer geschrieben werden kann.

Die Attacken der Autoren gelten über weite Strecken dem „Medien-“ und „Zeitgeschwätz“; aber eigentlich haben sie dem nur ihr eigenes Literatengeschwätz hinzugefügt.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 03/01 (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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