Eine Rezension Karl-Heinz Arnold

Das System funktionierte ganz einfach

John Goetz/Conny Neumann/Oliver Schröm:
Allein gegen Kohl, Kiep & Co.
Die Geschichte einer unerwünschten Ermittlung.
Ch. Links Verlag, Berlin 2000, 221 S.

Würde man für Personen und Orte, Behörden und Firmen in diesem Buch spanische Namen statt der deutschen einsetzen, könnte man die Geschichte für eine charakteristische Story aus einer Bananenrepublik halten. Leider ist sie ein Bericht aus der Bundesrepublik Deutschland, überwiegend aus den 90er Jahren, jedoch auch zurückreichend in die 80er. Wer die Lektüre beendet hat - sie wird durch den sauberen, flüssigen Stil journalistischer Profis befördert - und über seine Befindlichkeit nachdenkt, wird vielleicht zwei Feststellungen machen. Er wird sich über sein Land, über einen Staat wütend ärgern, in dem dergleichen möglich ist. Er wird sich zugleich über den CDU-Parteispendenskandal informiert fühlen, genauer: über einen entscheidenden Teil der Vorgänge, die ihn ausgelöst haben. Aus beiden Gründen nimmt dieser Band unter den Sachbüchern des Jahres 2000 einen besonderen Platz ein.

Erzählt wird die Geschichte, beginnend mit dem Schmiergeldzahler Karlheinz Schreiber, aus der Sicht von Staatsanwälten und Steuerfahndern. Ihrer Ermittlungsarbeit, so die Autoren, ist es zu verdanken, daß die mafiosen Praktiken der CDU überhaupt aufgedeckt wurden. Eine besondere Rolle spielte dabei der Augsburger Staatsanwalt Winfried Maier. Er ist wegen seiner Arbeit, die immerhin den größten politischen Skandal der deutschen Nachkriegsgeschichte aufdecken half, nicht belobigt und befördert, sondern an ein Familiengericht abgeschoben worden, das über Ehescheidungen und Unterhaltsklagen zu befinden hat. (Staatsanwälte sind voll ausgebildete Juristen mit der Befähigung zum Richteramt, können daher auch in ein solches Amt berufen werden.)

Als Maier vom Vorsitzenden des Bundestagsausschusses zur CDU-Spendenaffäre gefragt wurde, ob er denn für dieses Verfahren in der Staatsanwaltschaft zuständig bleibe oder ob da eine Ablösung vorgesehen sei, antwortete Winfried Maier mit beißender Ironie: „Kann denn ein Staatsanwalt, der das Recht des unbescholtenen Bürgers auf Nichtentdeckung seiner Straftaten permanent verletzt, hoffen, daß er Karriere macht?“ Nein, darauf konnte er nicht hoffen - sein Dienstherr, der bayerische Justizminister, hat anders entschieden. Immerhin ist der Beamte Maier vergleichsweise weich gefallen - im Unterschied jedenfalls zu einer Bananenrepublik. Er blieb Beamter, und er blieb am Leben.

Die drei Autoren des Buches sind im Interesse ihres Anliegens, Wahrheiten aufdecken zu helfen, ein Risiko eingegangen. Einerseits konnten sie sich auf Dokumente stützen, die, wie sie sagen, alle Darstellungen beweiskräftig belegen. Andererseits aber sind diese Dokumente zum größten Teil noch unveröffentlicht, die Autoren haben sie gewissermaßen in der Hinterhand. Und es mußten Vorgänge sowie Zusammenhänge rekonstruiert werden, ohne dabei in das gefährliche Feld unbewiesener Tatsachenbehauptungen zu geraten. Das ist gelungen. Schlußfolgerungen, Mutmaßungen, Werturteile sind presserechtlich zulässig. Man darf den Autoren anerkennend zugestehen, daß sie sich auf diesem Terrain gekonnt bewegen.

Berichtet wird von Akteuren, die sich selbst in Gefahr begeben haben, und darin kann man bekanntlich umkommen. Das Vermeiden ungerechtfertigter Beschuldigungen gehört zu den Stärken dieses gut, ja exzellent recherchierten Buches. Im übrigen haben sich Goetz, Neumann und Schröm durch ein Vorwort abgesichert. Darin verweisen sie ausdrücklich darauf, daß keine der als amtlich verdächtigt oder beschuldigt bezeichneten Personen bisher rechtskräftig verurteilt worden ist. Es werden auch diverse Dementis solcher Personen wiedergegeben.

Wer wissen möchte, wie man über einen politischen Skandal informiert, der offenbar mit schweren kriminellen Verfehlungen verbunden, aber noch nicht rechtsstaatlich aufgearbeitet ist, bekommt hier ein publizistisches Lehrstück vorgesetzt. Das Vergnügen daran sollte der Leser tunlich von seinem Ärger über den Zustand dieses Staates trennen, der in dem Buch offenbar wird. Vergnügen: Glänzend berichtet ist beispielsweise die Vorgeschichte der Verhaftung des Ex-Schatzmeisters der CDU Leisler Kiep. Vergnügen und Ärger zugleich: Schnörkellos einfach und wütend machend sind die Schlußfolgerungen, die beispielsweise angeboten werden, um die Praktiken des Ex-Kanzlers aus Oggersheim zu charakterisieren:

„Das System Kohl funktionierte ganz einfach. Der Partei-Pate hatte sich über die Jahrzehnte ein Heer von Günstlingen herangezogen, die ihm die Karriere zu verdanken hatten oder aus seinen schwarzen Kassen bedient wurden. Dafür erwartete Kohl Gehorsam, vorauseilend und blind. Und dieses System lief wie geschmiert bis zuletzt. Kurz vor dem Regierungswechsel im Herbst 1998 vernichteten Kohls treue Beamte zwei Drittel aller Akten und Daten im Bundeskanzleramt.“

Auch hier drängt sich die eingangs angedeutete Frage auf: Ja, leben wir denn in einer Bananenrepublik? Die Antwort wird von den Autoren weder versprochen noch zu geben versucht, sie bleibt dem geschätzten Leser überlassen. Das Buch endet folgerichtig mit einer Frage: Wie sollten die Kollegen des geschaßten Staatsanwalts Maier „unter den gegebenen Verhältnissen jemals erfolgreich gegen korrupte Politiker vorgehen können“? Also, wäre zu schlußfolgern, ist keine Hoffnung. Doch, solange Geschichten wie diese veröffentlicht werden, die Geschichte einer unerwünschten Ermittlung, ein richtiger, kein erfundener Politkrimi - solange ist Deutschland nicht verloren. Zumal die Autoren mit ihrer kritischen Sicht nicht ganz allein sind.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 03/01 (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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