Eine Rezension von Karl-Heinz Arnold

Eine gewalttätige Zeit

Heribert Blondiau (Hrsg.): Tod auf Bestellung
Politischer Mord im 20. Jahrhundert.
Ullstein Verlag, Berlin 2000, 265 S.

Dem Buch ist ein Zitat von William Golding (Herr der Fliegen, Das Feuer der Finsternis) vorangestellt: „Ich kann mir nicht helfen, aber ich glaube, daß dies das gewalttätigste Jahrhundert der Menschheitsgeschichte war.“ Nun, dem Nobelpreisträger Golding muß bei der Einschätzung des 20. Jahrhunderts überhaupt nicht geholfen werden - der Dreißigjährige Krieg beispielsweise dürfte sich neben den zwei wesentlich kürzeren Weltkriegen, dem Holocaust sowie den regionalen Massakern seit 1901 eher wie ein Scharmützel ausnehmen, was die Menschenopfer angeht. Bei den politischen Morden allerdings sollte man sich nicht auf eine besonders ertragreiche Zeit festlegen. Dergleichen gab es ständig, in der Ming-Dynastie wie zu Zeiten des Julius Caesar. Hier nun haben es zehn Autoren unternommen, acht politische Morde dieses Jahrhunderts mit Vorder- und Hintergrund, soweit dieser darstellbar ist, zu beschreiben.

Das Vorgehen: Man hat die Textbücher von acht Dokumentationen des WDR, vier davon aus Koproduktion mit dem Sender Quartier Latin, Paris, mit zusätzlichen Informationen und Kolorit angereichert und zu den acht Kapiteln dieses Buches verarbeitet. Das ist eine relativ bequeme, aber zulässige Methode. Bereits publiziertes Material aufbereitet zu verwenden gilt als nicht ehrenrührig, sofern dieses Vorgehen deutlich gemacht wird, was hier der Fall ist. Die bequeme Methode hat jedoch Nachteile. So wurde nicht der Jahrhundertmord an John F. Kennedy untersucht, sondern das Attentat auf seinen Bruder Robert, weil für ihn ein journalistischer Grundstock aus der Sendung im WDR vorhanden war. Es wurde das wenig bekannte und vom Hintergrund eher belanglose Attentat der IRA auf Lord Mountbatten dargestellt, weil hierfür vom selben Autor eine WDR-Dokumentation erarbeitet worden war, und diese beiden Beispiele stehen für alle anderen Beiträge.

Es wurde nicht die Ermordung des jüdischen Politikers Rabin mit dem nötigen und möglichen Hintergrund dargestellt, sondern der tödliche Anschlag auf den charismatischen Ägypter Sadat, aber nicht deswegen, weil der eine weltpolitisch wichtiger gewesen sein könnte als der andere, sondern eben weil die Dokumentation Sadat vorgelegen hat. Die journalistische Sorgfaltspflicht hätte es jedoch erfordert, bei den im Buch verwendeten Zitaten von Sadats Frau Jehan auf deren Autobiographie Ich bin eine Frau aus Ägypten zu verweisen, die bei Wilhelm Heyne in München als Lizenzausgabe von Scherz erschienen ist. Dies zu „vergessen“ und den Eindruck aufkommen zu lassen, man habe mit Jehan Sadat gesprochen, ist unanständig. Auch für eine „Aufkoche“, wie ein solches Buch unter Journalisten genannt werden könnte, gehört sich eine saubere Quellenangabe, aber vielleicht ist dies schon nur noch eine altmodische Ansicht des Rezensenten, und er gehört dafür nach guter alter Sitte totgeschlagen.

Die acht Beiträge des Buches können also nicht den Anspruch auf Originalität erheben, sie sind gut ausgebaute und sprachlich sehr sauber gestaltete Fernsehdokumentationen. Nur wer ein eifriger Konsument digitaler Medien ist, wird - vielleicht - empfinden, dies habe er schon einmal ganz ähnlich vorgeführt bekommen. Das Gros der interessierten Leser aber wird, so merkwürdig es nach kritischen Einwänden klingen mag, dieses Buch mit Gewinn aus der Hand legen, weil die Autoren sich mit Erfolg bemüht haben, ebendies auszudeuten und auszuloten und aufzuhellen, was seit jeher zum politischen Mord gehört: Motive, die über die Motive des unmittelbaren Täters hinausgehen, politisches Umfeld, mögliche oder gar tatsächliche Auftraggeber und Nutznießer, also das uralte cui bono.

Mit besonderem Gewinn wird man aus dieser Sicht das letzte Kapitel des Bandes lesen, „Mord am Bankier Gottes“, an dem Italiener Roberto Calvi. Hier wird unter anderem deutlich, welch eine Inszenierung die Wahl des polnischen Priesters Wojtyla zum Papst war und wie dieser neue Papst in Rom Gelder der katholischen Gläubigen für den politischen Umsturz im Osten eingesetzt hat. Diese Dokumentation verdient es, breit zur Kenntnis genommen, verbreitet und noch ausgebaut zu werden. Hier jedenfalls trifft eine Feststellung des Buches zu, die man als Verallgemeinerung allerdings kaum akzeptieren kann: Für den politischen Mord in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts war der Kalte Krieg der Vater aller Dinge.

Wer sich über die Morde an Aldo Moro, Martin Luther King, Robert F. Kennedy, Louis Mountbatten, Patrice Lumumba, Dag Hammarskjöld, Anwar el Sadat und Roberto Calvi informieren möchte, hat mit diesem Buch - trotz der kritischen Einwände - eine sehr lesbare Quelle. Was die zehn Autoren bieten, ist politische Aufklärung, und die wird gebraucht, gibt es doch auch heute viele, zu viele Dunkelmänner.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 03/01 (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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