Eine Rezension von Horst Wagner

Mehr als eine IM-Story

Alexander Osang: die nachrichten
S. Fischer Verlag, Frankfurt/M. 2000, 442 S.

In einem, scheint mir, irrt der Autor: Overhead-Projektoren hießen auch in der DDR so. Polylux war lediglich die Firma, die sie herstellte. Und daß die Broiler nicht vorkommen, wie der „Morgenpost“-Rezensent bemängelt, hat mich nun wirklich nicht gestört. Ansonsten aber erweist sich Alexander Osang in seinem, die Unterschiede in Mentalität wie Sprachgebrauch der Ost- und Westdeutschen beleuchtenden Romanerstling als ebenso präziser Beobachter und origineller Schilderer wie in seinen preisgekrönten Reportagen in der „Berliner Zeitung“ oder neuerdings im „Spiegel“. Letzterer spielt im Roman sogar eine wichtige Rolle. Auch der Neubrandenburger „Nordkurier“ kommt vor. Am Anfang und Ende aber steht die Nachrichtenredaktion des Ersten Deutschen Fernsehens. Dort ist Jan Landers, aufgewachsen in Berlin-Lichtenberg, nach NVA-Wehrdienst, abgebrochenem Studium der Kulturwissenschaften und Tätigkeit als Discjockey, nach der „Wende“ und einem Abstecher als „Wetterfrosch“ eines Lokalsenders angekommen und jeden Abend als Nachrichtensprecher auf dem Bildschirm.

Der Ossi Landers ist angekommen im Westen, ziemlich weit oben sogar. Aber er ist dort noch nicht so recht zu Hause. „Er lebte jetzt zweieinhalb Jahre in Hamburg. Er hatte einige Regeln begriffen. Er hatte mitbekommen, was man tut. Was man hatte. Warum man es tat und besaß, war ihm nicht immer so klar. Er fand „Sushi roh und Mozarella geschmacklos“, schreibt Osang über seinen Helden. Der sehnt sich gelegentlich nach Kartoffelsalat und Würstchen, Schmalzstullen und Hackepeter zurück, was es früher immer auf den Ost-Feten gab. Er ist aber doch stolz, daß er von seiner neuen Freundin Margarethe zu einem Wohltätigkeitsfest auf Sylt eingeladen wird, wo er in einer wunderschönen Strandvilla den Gefallen ihres Brauereibesitzer-Vaters findet, und ist freudig-überrascht, daß sich das stolze, feinsinnige Töchterchen schließlich in seinem Bett als feurige Liebhaberin erweist.

So weit, so gut. Aber als gerade die „Bild am Sonntag“ dabei ist, eine Foto-Story in seiner neuen Nobelherberge zu machen, bricht über Landers die Katastrophe herein. Ausgelöst hat sie eine junge ehrgeizige Dame vom „Spiegel“, die ein DDR-geschädigtes Ostkind und außerdem mit dem Sonderbeauftragten für die Stasi-Unterlagen befreundet ist, der im Roman Blöger heißt. Bei Recherchen für eine Reportage über ostdeutsche Aufsteiger stößt sie auf den Verdacht, Landers könnte IM gewesen sein. Sie löst eine Suchaktion in der Blöger-Behörde und deren Neubrandenburger Zweigstelle aus. Blöger ruft Landers Chef in Hamburg an, und der nimmt Landers vom Bildschirm, um dem Ansehen des Senders nicht zu schaden. Hatte man bis dahin den Eindruck, der Roman sei nichts weiter als ein geschickt zusammengefügtes, schillerndes Mosaik aus Reportage-Splittern, so gewinnt das Ganze nun an Handlung und Tiefgang. Landers, der sich (zu Recht, wie sich schließlich herausstellt) unschuldig fühlt, reist in den Osten, um sein früheres Leben zu erforschen. Er besucht seine Eltern und seine Ex-Frau; lernt auf einer Versammlung des „Ostwind“-Vereins ein ehemaliges Politbüromitglied und junge rote „Rebellen“ kennen, trifft sich mit anderen „Opfern der Blöger-Behörde“, hört sich deren Geschichten an, aber fühlt sich nirgends zugehörig. Schließlich besucht er zusammen mit einem Reporter des „Nordkuriers“, der den Ehrgeiz hat, noch vor dem „Spiegel“ die IM-Story des Tagesschau-Sprechers veröffentlichen zu können, seine ehemalige NVA-Kaserne bei Neubrandenburg, in der jetzt die Bundeswehr zu Hause ist. Dort findet er auch das Zimmer der „Abteilung 2000“ wieder, wohin er einst bestellt wurde. Und es fällt ihm auch das Gespräch ein, das er dort mit einem der „Verbindungsoffiziere“ hatte, weil bekannt geworden war, daß er „westliche“ Musik liebt, ein Gespräch über die englische Rockband Led Zeppelin und deren Gitarristen Jimmy Page. Ob er sich bei diesem Gespräch zu etwas verpflichtet hat, wird nicht so recht klar. Aber vom „Nordkurier“-Mann erfährt er, daß sein, Landers, Deckname eben Jimmy Page war.

Musik, von Mozart über Silly bis ganz modern, kommt überhaupt in Osangs Buch reichlich vor. Aber auch eine ganze Menge Sex. Es geht sehr sinnlich zu und sehr direkt. Aber immer ist Osang originell in den Formulierungen und verblüfft durch überraschende Wendungen. Er vermag es, komplizierte Wahrheiten in einfache Sätze zu fassen. Manchmal ist er poetisch, aber viel öfter bitter und bissig in seinen Schilderungen, ob die nun die feine Gesellschaft in Hamburg und Sylt betreffen oder seine frühere Heimat in Berlin-Lichtenberg, einige seiner heutigen Berufskollegen oder den „Sonderbeauftragten“. Manche Leser mögen es enttäuschend finden, daß Osang nichts anderes als spannungsförderndes Element einfällt, als eine IM-Story. Stimmt, das Thema ist eigentlich abgedroschen. Aber Osang versteht es, aus der hier nicht näher zu schildernden Suche nach Landers Akte eine köstlich zu lesende Mischung aus Krimi und Gesellschaftssatire zu machen und die ganze Stasi-Hysterie ad absurdum zu führen.

Eher als Satire, denn als Happy-End ist wohl auch der Schluß zu verstehen: Landers wird entlastet, erst von seinem Führungsoffizier Zelewski in dessen Abschiedsbrief vorm Todessprung aus einem Neubaublock der Frankfurter Allee. Dann durch den Sonderbeauftragten Blöger bei einem Gespräch mit der Dame vom „Spiegel“ und einen anschließenden Anruf bei der „Tagesschau“. Er darf wieder auf den Bildschirm, soll sogar zum „Tagesthemen“-Moderator aufsteigen. Aber er verzichtet auf die Beförderung. Margarethe ist inzwischen schwanger und eine reiche Erbin. Und Sylt erscheint ihm als ein guter Ort für eine gelegentliche Auszeit.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 03/01 (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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