Eine Rezension von Dorothea Körner

Rätsel um Zara

Brigitte Kronauer: Teufelsbrück
Roman.
Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2000, 505 S.

Auch nach zweimaligem Lesen habe ich dieses Buch nicht wirklich verstanden. Wird hier eine allegorische Darstellung des Diabolischen, Verführerisch-Glänzenden, aber Menschenfeindlichen unserer Gesellschaft geboten? Reflektiert die Autorin die existentielle Notwendigkeit von - berechtigten oder unberechtigten - Hochgefühlen als Bastionen gegen das lauernde Grauen des Lebens und gegen den Tod? Erörtert sie das Recht der Literatur, banale Ereignisse über Gebühr zu überhöhen und in den Mittelpunkt eines Kunstwerkes zu stellen? Oder erzählt sie die im Grunde fade, enttäuschende Liebesgeschichte einer kleinen Schmuckgestalterin, wenn auch mit hervorragenden literarischen Mitteln?

Zunächst die Fabel. Maria Fraulob, freischaffende Schmuckgestalterin in Hamburg-Flottbek, Mitte Dreißig bis Anfang Vierzig, alleinstehend - Mann und Kind hatte sie nach kurzer Ehe bei einem Autounfall verloren - verliebt sich in einen Mann, den sie durch einen Sturz im Elbe-Einkaufs-Zentrum (EEZ) kennenlernt. Leo Ribbat, Typ des südamerikanischen Mafiosi, in den Augen von Maria Fraulob das Idol eines Mannes - schmale Hüften, kräftige Brust, muskulöser Hals, breite, bleiche Stirn, Augen von müder Verschlagenheit - lebt zusammen mit Zara Johanna Zoern, einer kapriziösen, diabolisch schillernden, aber auch faszinierenden, schwerreichen Frau am anderen Ufer der Elbe im „Alten Land“, einer berühmten Obstanbaugegend. Er ist Zaras Geliebter und hochbegabter Manager ihrer dubiosen Geldgeschäfte (Waffenhandel). Wenn Maria - von Zara eingeladen - die beiden besucht, muß sie mit der Fähre von Teufelsbrück über die Elbe setzen. „Mein Wandrer hinkt an seiner Glaubenskrücke zum Teufelsstein, zur Teufelsbrücke“, höhnt Zara einmal, als Maria ihren Bekannten und unglücklichen Verehrer Wolf Specht mitbringt. Der Name dieses Zugangs zum Alten Land, zu „Zaras Reich“, dient auch als Titel des Romans Teufelsbrück, was offensichtlich kein Zufall ist.

Im Frühsommer, als der Holunder blüht, erfüllt sich Marias Liebe zu Leo Ribbat während einer gemeinsamen Woche in Heidelberg. In Hamburg setzen beide ihr Liebesverhältnis fort. Wolf Specht, der unermüdlich um Maria wirbt, wird von ihr schnöde und beleidigend zurückgewiesen. Die von Leo und Maria scheinbar hintergangene Zara Zoern entpuppt sich schon bald als Initiatorin und Drahtzieherin von Leos Verhältnis, um diesen auf elegante Art loszuwerden und sich einem neuen, wesentlich jüngeren Liebhaber widmen zu können. Als sie Leo auffordert, ihr Haus zu verlassen, ist dieser verzweifelt. Er gesteht Maria, von Zara nicht lassen zu können. Fortan lebt er allein, wickelt weiterhin Zaras Geschäfte ab und wird von Sophie, einer Buchhändlerin, die Zara in deren Bibliothek und bei ihren exotischen Vögeln zur Hand geht, versorgt und umflirtet. Sophie, die sich nach einiger Zeit - von Zara und Maria bestärkt - vor dem Ziel ihrer erotischen Wünsche sieht, lädt die beiden Frauen zum Tee in Leos Haus ein. Maria wird unbemerkt Zeugin, wie Sophie Leo Ribbat ihre Liebe gesteht, von diesem müde-ironisch abgewiesen wird und daraufhin ihn und sich selbst erschießt. Auch der unglückliche Wolf Specht hat einen Selbstmordversuch unternommen.

Der dritte Teil des Buches spielt in den winterlichen Alpen, wohin Maria zur Erholung nach langer Krankheit gereist ist. An neun Abenden im Hotel erzählt sie einer alten Frau, die sich dabei zusehends verjüngt, ihre Geschichte. Je deutlicher Maria in ihrem Gegenüber, zu dem sie „rasend schnell Vertrauen gefaßt hat“, Zara erkennt, desto froher wird sie. Von „Zaras“ Nähe und Zuwendung ermutigt, glaubt Maria, daß diese es gut mit ihr meint. Aber nach der letzten Sitzung stößt „Zara“ Maria von sich weg, hinaus in Dunkelheit, Einsamkeit, Kälte und Schnee.

Der potentielle Leser des Romans möge mir verzeihen, daß ich ihm die Spannung genommen habe. Er kann sich nun ganz auf die Schönheit und Kraft der Sprache (bis auf gewisse Ausrutscher und eigenartig bürokratische Wendungen) konzentrieren. Brigitte Kronauer schildert die feuchte Vorfrühlingslandschaft an der Elbe, den Blütenschnee im Alten Land, den betörenden Holunderduft in Marias Liebesnächten oder die glitzernde, euphorisierende winterliche Hochgebirgslandschaft ebenso großartig wie Warenüberfluß, Eleganz und Menschengewühl im Elbe-Einkaufszentrum oder die pittoresken Szenen einer Abendgesellschaft bei Zara Zoern. Im Mittelpunkt des Romans steht die Liebesgeschichte von Maria Fraulob, ihre durch Verliebtsein hervorgerufene Hochgestimmtheit und innere Unverletzbarkeit, das bange Wissen um den Höhepunkt und das Ende der Beziehung, ihr kreatürliches Verfallensein an Leo, das nach der Desillusionierung einer eigenartigen Kälte und Gleichgültigkeit weicht. All diese Gefühlsregungen sind sehr genau und nachvollziehbar beschrieben, und dennoch langweilte mich Marias gebetsmühlenhaft wiederholte, beinahe kitschige Bewunderung von Leos Schönheit und Männlichkeit. Ich fragte mich, ob es nicht mehr an einem Mann zu entdecken gibt als dessen Äußeres. Entsprechend befremdlich ist auch Marias emotionale Leere nach der Einsicht, daß der wirkliche Leo nicht ihrem Bild von ihm entspricht.

Mußte Brigitte Kronauer der Selbsttäuschung einer Frau und deren illusionärem Hochgefühl 500 Seiten widmen? Musil hätte ein solches Thema möglicherweise auf einer hohen Reflexionsebene bewältigt, aber dieser Roman hinterläßt beim Leser eher einen faden Nachgeschmack. Auch der Versuch der Autorin, im letzten Kapitel über den Charakter und die Berechtigung euphorischer Stimmungen zu „philosophieren“, macht die Sache nicht besser. Man hat das peinliche Gefühl, Trivialitäten zu lesen.

Teufelsbrück ist voller literarischer Anspielungen - beispielsweise an E. T. A. Hoffmanns Goldenen Topf, der ebenfalls an der Elbe, in Dresden, angesiedelt ist. Die Autorin spielt mit Mythen und christlichen Legenden, die sie eigenwillig interpretiert und beispielsweise als Grundmuster einer Abendgesellschaft gestalterisch nutzt. Das mag sehr geistreich sein. Wichtiger scheint mir aber, daß die Handlung des Romans für sich allein bestehen kann. Und da überzeugen die handelnden Figuren nicht unbedingt. Beispielsweise erscheinen mir Sophie und Wolf Specht - wie auch deren halbwüchsiger Sohn - stark karikiert. Zara Zoern, die Schlüsselgestalt des Romans, ist eine zwielichtige, extravagante, exotisch schillernde Kunstfigur, häßlich und alt, dann wieder jung und schön, hellsichtig, intelligent und zynisch, aber im Stillen caritativ, grell geschminkt und raffiniert gekleidet, mit leuchtendem „Fischmaul“ und böse funkelnden „Froschaugen“, nach dem Willen der Autorin die heimliche „Regisseurin“ des Geschehens, die alle „Mitspieler“ verzaubert und in ihren Bann schlägt. Brigitte Kronauer hat sich unvergeßliche Szenen für Zara ausgedacht. Man fragt sich, ob sie eine „Diabola“ ist, Sinnbild unserer verführerischen Gesellschaft? Holt sie sich mit Maria Fraulob, die als einzige die Katastrophe überlebt zu haben schien, ihr letztes Opfer? Hat Maria auf ihrem letzten Weg in Kälte und Finsternis, den sie voller Angst, aber zunehmend entrückt geht, die glücklichen Halluzinationen einer Erfrierenden?

Ich mag Bücher nicht, in die soviel hineingeheimnist wurde, daß der Leser trotz langen Grübelns keine überzeugende Deutung findet. Der große gedankliche Bogen des Romans will sich mir nicht so recht erschließen. Ich bleibe also - trotz Brigitte Kronauers hervorragender erzählerischer Fähigkeit - von Teufelsbrück eher unbefriedigt.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 03/01 (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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