Rezension von Heinrich Buchholzer

Zwei Polizistinnen und ein junger Mann

Patricia Cornwell: Die Hornisse
Roman. Aus dem Amerikanischen von Monika Blaich.
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2000, 428 S.

Die Autorin hat ihr Buch den Cops gewidmet, insbesondere den weiblichen, wie man vermuten darf. Sie war Polizeireporterin und dann Computerspezialistin in der Gerichtsmedizin, ehe sie zu einer beachteten Schriftstellerin spezifischer Unterhaltungsliteratur wurde. Ihre Kriminalromane, neudeutsch mit der abgegriffenen Marke Thriller versehen, haben ihr einen beträchtlichen Leserkreis und Anerkennung über die USA hinaus eingebracht. Bei Hoffmann und Campe sind bereits erschienen Die Tote ohne Namen (1996), Trübe Wasser sind kalt (1997) und Der Keim des Verderbens (1998). Die vorliegende „Hornisse“ ist auch als Hörbuch zu haben, gelesen von der Fernsehpolizistin Ulrike Folkerts, ebenso Der Keim des Verderbens mit Judy Winter. Zweimal gut besetzt.

Diesen Krimi kann man als Polizeiroman bezeichnen, das dürfte den Inhalt am genauesten beschreiben. In den USA und auch in England und Frankreich ist der Polizei- oder Polizistenroman schon eine selbständige Sparte mit ganz unterschiedlichen wie auch recht langlebigen Helden. Sie sind in den USA zumeist harte Typen, in Europa eher skurril, jeder Lesende kennt die Herren. Hier nun haben wir es mit zwei Damen zu tun, einer Polizeichefin und ihrer Stellvertreterin -, solche hochrangigen Frauen sind selten. Sie werden als kompetent, zupackend und zugleich sensibel gezeichnet, durchaus als ein Beitrag zur Emanzipation der Frauen in den USA aufzufassen, einer teils gelungenen, teils noch zu erreichenden Befreiung von traditioneller Vorherrschaft der Männer und Männchen.

Wir werden in die existierende Stadt Charlotte versetzt, Bundesstaat North Carolina im Südwesten der USA, eine aufstrebende und entsprechend großkotzige Stadt, nicht zu verwechseln mit dem kleinen, kaum aufstrebenden und dafür sehr sehenswerten Charlottesville, Virginia. Es ist leserfreundlich, daß die Autorin gleich zu Anfang den Ursprung des Namens erklärt. Er geht zurück auf das Blaublut Charlotte Sophie von Mecklenburg-Strelitz, später Frau des englischen Königs Georg III. Und die Hornisse kam in der Neuzeit in das Wappen der Stadt, die sich um 1780 den englischen Kolonialherren so feindselig wie ein Hornissenschwarm zeigte. Es ist nett, wenn Autoren der Trivialliteratur - dies ist nicht verachtend gemeint - einen Beitrag zur Bildung ihrer Leser leisten.

Die gebotene Geschichte kann man denkbar kurz umreißen. In Charlotte treibt ein Serienmörder ein blutiges, in der Ausführung perverses Spiel, und sowohl die beiden leitenden Polizistinnen der Stadt als auch ein junger Reporter begegnen sich im Versuch, den Untäter zu stellen, der Charlottes Image schweren Schaden zufügt, was schlecht fürs Geschäft in der aufstrebenden Kommune ist.

Man merkt, daß Patricia Cornwell ihre Erfahrungen als Polizeireporterin sowie Kenntnisse der forensischen Medizin einsetzt, und das bekommt dem Buch gut. Sie bietet ein kommunales Negativ-Porträt, dessen Ehrlichkeit und Anschaulichkeit überzeugen. Dies ist eine Stadt der USA mit duchaus typischen Merkmalen, die man zeigen oder überdecken kann, was die Autorin nicht tut. In Charlotte läßt es sich offenbar nur halbwegs angenehm leben, wenn man über hinreichende Einkünfte verfügt, in einem Viertel unter Besserverdienenden wohnt und die vielen dunklen Ecken meidet, in denen man leicht zu Tode kommen kann. Das Jaulen der Polizeisirenen und das Zucken der Warnlampen von Einsatzwagen sind die akustischen und optischen Begleiter der Cops. Sie müssen in den Nachtstunden eine Schwerarbeit leisten, die viel mit dem antiken Sisyphus zu tun hat: Soviel sie sich auch mühen - am nächsten Tag beginnt die vergebliche Schlacht gegen das Verbrechen aller Couleurs neu, in einer unveränderten und anscheinend unveränderlichen Gesellschaft.

Die Art des Erzählens ist anfangs gewöhnungsbedürftig, kurze Szenen mit wechselnden Personen und Schauplätzen, und die Szenen werden zunehmend kürzer. Das ist eine Möglichkeit, Spannung aufzubauen, vielleicht nicht die allerbeste Methode. Jedenfalls begibt sich die Autorin - sicherlich bewußt - so der Chance, ihre Hauptpersonen rund darzustellen. Sie werden mehr angedeutet als ausgedeutet, aber das hat Tradition in dieser Sparte der amerikanischen Literatur. Dennoch werden die Unterschiede in den Charakteren der handelnden Personen erkennbar, ihr Verhalten erklärt sich daraus, ist nicht zufällig. Zwei Top-Polizistinnen, mit denen sich die Autorin wohl identifiziert, und ein gutgebauter junger Mann, dessen Erscheinung und Schreibtalent auf die beiden Damen nicht ohne Wirkung bleiben, bilden ein spannungsreiches Dreieck. Der in der Mitte des Romans auftauchende Mörder, allmählich Gestalt annehmend, sorgt für den Thrill, der aus dem Crime kommt.

Patricia Cornwell gehört zu den amerikanischen Autoren, die Gottes eigenes Land mit seinen tiefen Schlagschatten zeigen. Wer die ungeschönten USA kennenlernen und eine unterhaltsame Lektüre haben möchte, wird mit diesem Buch gut bedient.

Die Übersetzung ist um Exaktheit und Farbechtheit bemüht, läßt jedoch an einigen Stellen sprachliche Eleganz vermissen. Wir lesen: „Schließlich fuhr sie ihren Wagen auf einen Fünfzehn-Minuten-Stellplatz direkt vor den spiegelnden Eingangstüren, parkte und stieg, während sie, so gut es ging, versuchte, ihre Aktentasche, die Handtasche, ein paar Aktenordner, Zeitungen, ihr Frühstück und einen großen Becher Kaffee zu balancieren, aus dem Auto.“ Selbst wenn Patricia Cornwell keinen durchgehend meisterhaften Stil haben sollte, sondern eine mehr sachdienliche und burschikose Ausdrucksweise, die dem Milieu angepaßt ist - solche Schachtelsätze sollten nicht gedruckt werden. Fast ist man an das Lateinische erinnert, wo sich das Verb allerdings mit Sicherheit am Ende des Satzes finden läßt.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 03/01 (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

zurück zur vorherigen Seite