Annotation von Hans-Rainer John
Quignard, Pascal:
Die amerikanische Besatzung
Roman. Aus dem Französischen von Jörg Aufenanger.
Kowalke & Co Verlag, Berlin 2000, 216 S.

Das Ende des Zweiten Weltkrieges wurde eingeleitet, als amerikanische Truppen an den Stränden der Normandie landeten und die deutschen Besatzer verjagten. Aber dann breiteten sie ein ganzes soziales Gewebe über Frankreich aus - Basis für 27 000 GIs mit ihren Familien, Flugplätze für Globemasters, Thunderjets und Scorpions, die eine Luftbrücke bildeten, Kaufhallen mit all den bunten Waren, von denen die darbenden Einheimischen nur träumen konnten, Lazarette, Umerziehungslager und Bordelle. Die ursprünglichen Befreier Frankreichs wurden schließlich zur amerikanischen Besatzung, die sich mit der Forderung „Ami go home“ konfrontiert sah. 1959 endlich setzte General de Gaulle ihren Abzug durch.

Das ist der historische Rahmen des Romans, der erzählt, warum am 17. Juli dieses Jahres ein Mann den Suizid einer Frau, die er liebt, nicht verhindert. Der Mann ist Patrick Carrion, 18 Jahre alt, Sohn des Tierarztes in dem kleinen Ort Meung bei Orleans, und die fast gleichaltrige Frau ist Marie-José Vire, Tochter des Eisenwaren- und Lebensmittelhändlers im Ort. Beide waren von Kindheit an unzertrennliche Spielgefährten. Die Elternhäuser waren wenig aufgeschlossen für die Probleme der Heranwachsenden, so kettete die Not die Kinder aneinander. Im Heranwachsen erwuchs aus dem Gefühl der Zusammengehörigkeit eine zarte Liebe. Aber ehe sie sich entfalten konnte, wurde sie zerstört.

Sie bekamen nämlich Kontakt zu den Amerikanern von der nahe gelegenen Basis. Sie waren fasziniert von deren Lebensstil, von ihren Autos, ihrer Kleidung, ihrer Musik und Warenwelt. Patrick erntet als Schlagzeuger in einer Band mit schwarzen GIs große Erfolge, und Marie-José schlittert in ein Verhältnis mit dem Sergeanten Wilbur Caberra. Der hätte zwar ihr Vater sein können, aber sie wurde von der verzweifelten Hoffnung getrieben, er werde sie aus dem tristen Alltag Meungs her ausreißen und als Ehefrau in Amerika verwöhnen. Patrick tröstet sich daraufhin mit Trudy, der Tochter des Leutnants Wadd. Eines Tages kommt Wilbur um, als er, obwohl alkoholisiert, mit seinem Auto losrast, um Patrick aus einer prekären Situation zu befreien. Marie-José, die sich plötzlich allein sieht, möchte nun gern zu ihrer eigentlichen Liebe zurückkehren, aber Patrick, der sich am Tode Wilburs schuldig fühlt, vermag den Bruch nicht zu kitten. Für Marie-José hat das Leben damit allen Sinn verloren.

Pascal Quignard (52) zählt, wie es heißt, zu den renommiertesten Schriftstellern der französischen Gegenwartsliteratur. Er hat zahlreiche Preise für sein Werk - Romane, Erzählungen, Essays - erhalten und wird für seine außerordentliche Sprachkraft gerühmt. Die Erwartungen waren deshalb hochgespannt. Sie wurden leider nur zu einem Teil erfüllt.

Die historische Rolle, die die Amerikaner in jener Epoche gespielt haben, ist wohl gut erfaßt. Die jüngeren Franzosen bewundern die saloppe Lebensweise, begeistern sich für Jazz, Buddy Holly und Marilyn Monroe, bewundern den Reichtum der Warenwelt, aber die Älteren verabscheuen den alltäglichen Rassismus, Drogen, Spritzen und den verbreiteten Alkoholismus; die Rolle der Besatzer steht gegen das Ringen um nationale Identität. Aber immerhin ist keiner der näher in Erscheinung tretenden Amerikaner unsympatisch gezeichnet. Der Hauptstrang aber, die Beziehung von Patrick und Marie-José zueinander und zu Wilbur und Trudy, ist zum Teil nur oberflächlich skizziert, wird meist nur referierend mitgeteilt, und das tragische Ende ist nicht wirklich zwingend. Was Patrick so lähmt, daß er nicht imstande ist, den absehbaren Selbstmord von Marie-José zu verhindern, wird nicht recht ersichtlich. Da haben andere Autoren die Beziehungen von jungen Leuten in diesen schwierigen Entwicklungsjahren weit sensibler, poetischer und psychologisch tiefgehender gestaltet. Vor allem sprachlich erscheint das Buch merkwürdig glanzlos, holprig und uninspiriert. Das könnte am mangelnden Sprachgefühl des Übersetzers liegen, aber eine literarische Glanzleistung hat der Autor ganz sicher nicht vorgelegt.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 02/01 (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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