Eine Rezension von Hans-Rainer John

Eine Frau zwischen Familie und Profession

Liza Marklund: Olympisches Feuer
Roman.
Aus dem Schwedischen von Dagmar Mißfeldt.
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2000, 400 S.

Wenige Monate vor Eröffnung der Olympischen Spiele erschüttert eine Explosion das eben erst fertiggestellte Stockholmer Stadion. Am Tatort wird der zerfetzte Körper der einflußreichen, mächtigen, tüchtigen, allseits geschätzten Direktorin des Olympiakomitees, Christina Furhage, gefunden, bei der alle Fäden der Bewerbung Schwedens und der Vorbereitung der Spiele zusammengelaufen sind. Ein Terroranschlag, ein persönlicher Racheakt, eine Aktion von Olympiagegnern? Während die Polizei noch rotiert, folgt ein zweiter Anschlag. Wieder explodiert Sprengstoff, diesmal an einer anderen Stelle der Olympia-Anlagen, und das Opfer ist diesmal Stefan Bjurling, Vorarbeiter in einer Baufirma, verheiratet, drei Kinder, beliebt wegen seiner Tüchtigkeit und seines Humors. Der Mann war an Händen und Füßen gefesselt worden, die Sprengladung war auf seinen Rücken gebunden. Kannten sich die Opfer? Gibt es einen Zusammenhang? Die Polizei steht vor einem Rätsel.

Aber nicht um die Polizei und ihre Ermittlungen geht es bei Liza Marklund. Die Autorin arbeitet als Reporterin, lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in Stockholm, und natürlich hat sie viele eigene Erfahrungen verarbeitet. „Ich bin als Nachtreporterin buchstäblich durch Blutpfützen gewatet und habe mir im Türeingang die Beine in den Bauch gestanden, während ich darauf wartete, daß die Polizisten die Leichen und Bahren heraustrugen. Das macht erst mal keinen großen Spaß, ist aber eine enorm wichtige Erfahrung.“ Hinzu kommen die Probleme, Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen, wenn hier ein Kapitalverbrechen zur Berichterstattung vor Ort ruft und dort drei Kinder warten und der Ehemann eigenen Terminen nachgehen muß. Und was ist, wenn die Reporterin gerade Redaktionsleiterin geworden ist und viele Neider hat, die meinten, eher Anspruch auf den Posten zu haben? Auch haben noch heute viele Männer nicht gern Frauen als Vorgesetzte; und was ist, wenn es der Frau noch an Erfahrung fehlt, den neuen Posten routiniert, ausgeglichen und souverän zu bewältigen, wenn sie sich durch Impulsivität und undiplomatische Direktheit neue Feinde macht?

Ja, solcherart sind die Probleme der Annika Bengtzon, die im Zentrum des Romans steht, und da wird der zugrunde liegende Kriminalfall fast zum Hintergrund. Da wird eine Frau fast zerrissen von den Anforderungen der Redaktion einer Tageszeitung, die den Fall Olympiastadion recherchiert und in der dabei vielerlei Intrigen laufen gegen die Chefin der Polizeiredaktion, und von den Anforderungen seitens der eigenen Familie, die nicht vernachlässigt werden darf. Das nötigt Anteilnahme ab, geht aber oft auf Kosten der kriminalistischen Spannung. Dieses Manko wird verstärkt, weil die Autorin so behäbig und detailliert, fast protokollartig, erzählt: wie oft der Kaffeebecher gefüllt und geholt wird und ob er sauber oder schmutzig ist, wenn Mantel, Tasche und Schal aufgenommen oder abgelegt werden, welche Farbe, ja sogar welche Muster die Schlafanzüge der Kinder haben usw. Dabei ist die Sprache leger, ein Alltagsslang, nicht immer korrekt in den Bildern und sprachlichen Wendungen. (Schwer zu sagen, wie weit das auf die Autorin zurückgeht oder der Übersetzerin anzulasten ist.) Zwischen die einzelnen Kapitel sind kurze Essays gestreut mit allgemeinen Gedanken zum Thema Existenz, Liebe, Menschlichkeit, Glück, Lügen, Bosheit, Tod. (Auf der letzten Seite werden sie als Hinterlassenschaft von Christina Furhage dechiffriert.) Sie sind ein bißchen ambitiös, kein rechter Zugewinn, vermögen das Buch zumindest nicht auf literarische oder philosophische Höhen zu hieven.

Merkwürdig ist allerdings, daß sich eine Stockholmer Tageszeitung eine Polizeiredaktion halten kann, bei der mehrere Redakteure, Reporter und Fotografen den gleichen Fall recherchieren und ihre Ermittlungen über die ganze Zeitung ausbreiten können. Vielerorts wäre es ein Glück, wenn die Kripo so viele Leute ins Rennen schicken könnte. Und eigentlich macht die Redaktion hier ja der Polizei nur Konkurrenz, es ist ein Hase-und-Igel-Spiel, mitunter kommt sie ihr gründlich in die Quere. Annika Bengtzon hat Erfahrungen, Verbindungen, Quellen, ein Gespür für die Wetterlage und Querelen, aber sie geht auch nur vor, wie man es gewohnt ist. Das Umfeld der Opfer wird abgeklopft (der Täter ist ja noch unbekannt), und es ergibt sich, daß deren Leben durchaus nicht so vorbildlich und fleckenlos war, wie die ersten Nachrufe glauben machen wollten. Überraschend ist nur, daß Annika selbst ins Fadenkreuz des Mörders gerät (der Grund wird nicht recht klar). Dann allerdings geht es wirklich um Leben und Tod, und es entbrennt ein Kampf um Minuten und Sekunden. Die Sprengstoffanschläge sollen die ganze schwedische Öffentlichkeit erschüttert haben, die Entlarvung des Täters und seines Motivs ist im Verhältnis dazu äußerst banal. Aber daß der Roman doch ein fulminantes und überaus spannendes Finale hat, steht ganz außer Zweifel.

Olympisches Feuer ist tatsächlich alles in allem ein bemerkenswertes Debüt. Der Erfolg ist jedoch meiner Ansicht nach weniger dem Kriminalfall geschuldet als vielmehr der authentischen Schilderung von Konflikten, die eine Frau zwischen Beruf und Familie durchzustehen hat und wie sie sich als Leiterin durchsetzen muß. Hier ist es von Vorteil, daß die Autorin aus dem Nähkästchen geplaudert hat. Da stimmen dann auch die Details. Wenn aber Olympisches Feuer als bester schwedischer Kriminalroman seit langer Zeit gilt (er wurde in Schweden fast 400 000mal verkauft und mit zwei Preisen ausgezeichnet), so scheint er mir fast überbewertet. Erst nach dem zweiten Roman (Studio Sex ist für nächstes Frühjahr angekündigt) wird man über den Rang der Autorin wirklich urteilen können.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 02/01 (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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