Eine Rezension von Volker Strebel

Die Gefahr, sich selbst zu verschlingen

Siegmar Faust: Der Provokateur
Ein politischer Roman.
F. A. Herbig Verlag, München 1999, 397 S.

Vom ehemaligen Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger ist überliefert, daß er vom „Phänomen DDR“ gesprochen hat, und lange genug wurde das sonderliche Kürzel DDR in der konservativen Presse in Anführungszeichen geschrieben - als hätte es diesen Staat nicht gegeben. Der vorliegende Roman Der Provokateur wird deutlich als ein „politischer Roman“ gekennzeichnet, und Siegmar Faust schlägt mit seiner Feder gewaltig auf den Putz. Im Visier hat Faust jenen ehemaligen Phantomstaat DDR, welcher sich vor zehn Jahren sang- und klanglos von der Weltbühne verabschiedet hat. Genauer noch rechnet Faust harsch mit der „sogenannten DDR-Literatur“ ab. Siegmar Fausts Alter ego heißt Bob Kayenberg, und der gerät bei hartnäckigen Diskussionen auch leicht in Zorn, wenn es um das Verhalten von Schriftstellern aus der ehemaligen DDR geht, „die ich leider als Edeloppositionelle diffamieren muss“. Zu den Vorzügen dieses Buches gehört, daß in ausführlichen Sequenzen das Für und Wider einzelner Thesen, Schlagwörter oder auch das Verhalten konkreter DDR-Autoren debattiert wird, auch wenn mancher Schlagabtausch mitunter flapsig wirkt: „... klar, kritisch war'n sie schon immer, die Edeloppis, bloß nicht dagegen, das war'n sie nie!“

Siegmar Fausts Einschätzungen über Schriftsteller der ehemaligen DDR sind aufschlußreich, er kannte viele von ihnen persönlich. Bezeichnenderweise bilden Fausts Urteile seine innere Zerrissenheit ab, wenn er zum Beispiel von Volker Braun berichtet, dem er vieles zu verdanken habe - und an anderer Stelle gegen dessen inkonsequente Haltung gegenüber dem Bonzensystem der SED wettert. Dabei hatte einst Siegmar Faust selbst als DDR-Schriftsteller angefangen, als SED-Mitglied „sogar im ,Neuen Deutschland‘ veröffentlicht“ - wie Wolf Biermann einmal angemerkt hatte - und auch dieser Hintergrund wird im vorliegenden Roman ausführlich ausgebreitet.

Siegmar Faust hatte sich als Marxist verstanden, der für einen humanen Sozialismus stritt, er war im Kreis von Wolf Biermann und Robert Havemann wohlgelitten. Der Einbruch in sein bisheriges Denken kam bei Siegmar Faust im Stasi-Knast. Faust war in der DDR insgesamt zweimal wegen „staatsfeindlicher Hetze“ inhaftiert worden und wurde 1976 vom Westen freigekauft.

Insgesamt hatte Faust über 400 Tage in isolierter Einzelhaft im Keller verbracht. Er selbst relativiert die Gerüchte um sein Schicksal und berichtigt: „Doch die Verpflegung mit Brot und Wassersuppe, die trifft nur auf die 63 Tage strengen Arrests zu, die ich als Abwechslung gegen das graue Allerlei zusätzlich wegen verschiedener Verstöße gegen die dort gültige Hausordnung verschrieben bekam.“

Im Westen hatte Siegmar Faust alias Bob Kayenberg alle Hände voll zu tun, um Anschluß an die kulturelle Szene zu finden und gleichzeitig die widersprüchliche Bewußtseinslage zu durchschauen. Die intellektuelle Ignoranz linksliberaler Kreise schmerzte dabei ebenso wie das schlichte Desinteresse des sogenannten Normalbürgers. Die feinen Töne, der Sinn für Andeutungen und Gesten schienen im freien Westen nicht gefragt. Eindrucksvoll dokumentiert eine Interpretation des Gedichtes „Quadrate“ von Friedemann Berger Bob Kayenbergs Fähigkeiten, die dem westlichen Publikum völlig neu und unerwartet erschienen. Wie Siegmar Faust tingelte nämlich auch Bob Kayenberg nach seinem Weggang aus der DDR durch die Lande, um mit politischen Vorträgen vor Schulklassen über den unbekannten Nachbarn, die DDR, sein Geld zu verdienen. Und auch diese Rolle als politischer Vortragsreisender wird im Roman schonungslos durchleuchtet. Das Wechselgespräch mit Schülern oder Zivildienstleistenden, denen das Leben in der DDR so unbekannt war wie der Mars, gehört zu den interessantesten Passagen dieses Buches. Die deutsch-deutsche Entfremdung wird aufschlußreich dargestellt und beantwortet manche Fragen, die sich erst zehn Jahre nach der vollzogenen Vereinigung einstellen. Die Offenheit, mit der Bob Kayenberg über Intimstes und wechselnde Frauengeschichten berichtet, erinnert daran, daß ein Provokateur nicht auf das Gebiet der Politik beschränkt sein muß. Die große Freiheit, so fragt sich Bob Kayenberg zu Beginn seiner Erinnerungen: „Befreite sie ihn endlich von Reue, Trieb und Illusionen?“

Zum Wesen Faustscher Prosa gehört zuweilen die Gefahr, sich selbst zu verschlingen.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 02/01 (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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