Eine Rezension von Gerhard Keiderling

Kommunistische Politik im Nachkriegswestdeutschland

Volker Sieger:
Die Wirtschafts- und Sozialpolitik der KPD von 1945 bis 1956
Peter Lang Europäischer Verlag der Wissenschaften, Frankfurt/M. 2000, 361 S.

In den meisten Darstellungen zur westdeutschen Nachkriegsentwicklung werden Existenz und Mitwirkung der KPD am Wiederaufbau marginalisiert, wenn nicht gar ignoriert. War die KPD „nur Objekt deutschlandpolitischer Verwerfungen“ oder in bestimmter Weise nicht auch ein „politische Kräfteverhältnisse selbst beeinflussendes Subjekt“? Auf diese Frage gibt die vorliegende Untersuchung, von der Fakultät für Geschichtswissenschaften der Universität Bochum 1998 als Dissertation angenommen, bemerkenswerte Antworten. Nach einer obligaten Einführung, die die Vorbereitungen der KPD auf die Zeit nach Hitler resümiert, wendet sich Volker Sieger in drei Kapiteln der kommunistischen Organisation und Politik in den Westzonen/BRD von 1945-1948, 1948-1950 und 1950-1956 zu. Der Vorsatz der KPD, „eine aufbauwillige und damit letztendlich akzeptierte politische Kraft in ganz Deutschland zu werden“, wird nicht in Zweifel gezogen. Somit stellt sich die Frage, welche fördernden oder hemmenden Faktoren für die Entfaltung kommunistischer Wirtschafts- und Sozialpolitik existierten. Für die Ausgangsposition 1945 prüft Sieger Gemeinsamkeiten und Unterschiede des politischen Wirkens in den Westzonen und in der Ostzone. Während die Kommunisten im Osten nicht nur eine großzügige Förderung erhielten, sondern direkt in die sowjetische Deutschlandpolitik eingespannt wurden, erfuhren sie im Westen öffentliche Ablehnung, Behinderung und zunehmende Ausgrenzung. Sieger sieht die Hauptgründe dafür in der Strategie und Politik der KPD. Sie war nicht nur auf das SBZ/DDR-Modell fixiert und konnte sich aus dem Anleitungs- und Überwachungsverhältnis durch die SED nicht befreien, sondern scheiterte selbst dort, wo sie sich in Ansätzen als westdeutsche Partei profilieren konnte, am eigenen Unvermögen, politische Akzeptanz und Handlungsfähigkeit zu gewinnen. Das ist zweifellos richtig. Die Abhängigkeit vom Osten, die 1947/48 über eine Arbeitsgemeinschaft und danach über die Westabteilung der SED realisiert wurde, nahm der KPD viel von ihren Einflußmöglichkeiten in der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft. Dennoch bleibt zu fragen, welches Gewicht die internationalen Zwänge des heraufziehenden Kalten Krieges hatten, die sich in der divergenten Deutschlandpolitik der Vier Mächte offenbarten. Jene Jahre des „Containment“, des „Roll back“ und des McCarthyismus durchstürmte ein paranoider Antikommunismus, der auch die Westzonen in seinen Bann schlug. Haben die westlichen Besatzungsmächte jemals die Kommunisten als einen gleichberechtigten Partner einer Neuordnung neben den Bürgerlichen und Sozialdemokraten akzeptiert? Sieger macht um diese Thematik weitgehend einen Bogen und begnügt sich mit pauschalen Urteilen; so wenn er schreibt, die KPD hätte 1948 mit ihrer Ablehnung des Weststaat-Konzepts „die Metamorphose von einer mehr oder minder akzeptierten Partei der Anti-Hitler-Koalition zu einer ,Partei des permanenten Hochverrats‘ vollzogen“. Was die Wirtschafts- und Sozialpolitik der KPD als Hauptgegenstand der Arbeit angeht, so kommt Siebert aufgrund eingehender Recherchen in den Archiven und in kritischer Auswertung der Fachliteratur zu beachtenswerten Feststellungen. Der zügige Parteiaufbau bis Frühjahr 1946 und ein stetiger Mitgliederzuwachs bis 1948, als mit über 320 000 Mitgliedern die Gesamtstärke der Reichspartei von 1930 überschritten wurde, verschafften der KPD gute Ausgangspositionen in Betrieben und Kommunen, vor allem im Ruhrgebiet. Solange sich die KPD als eine „Aufbaupartei“ präsentierte, im gewerkschaftlichen und Mitbestimmungsbereich ihren Reformwillen bekundete und darüber hinaus auch Ansätze selbständigen Handelns als Partei in den Westzonen entwickelte, vermochte sie Einflußchancen offenzuhalten. Daß sie dabei die sozioökonomische Verfaßtheit der jungen Bundesrepublik in bestimmten Dingen mit beeinflußte, schließt Sieger nicht aus. Die radikale Wende kam nach 1950, als Ostbindung, stalinistische Parteisäuberungen, der weltfremde Ruf nach „revolutionärem Sturz des Adenauer-Regimes“ und andere „ultralinke“ Losungen den „freien Fall der KPD in die Bedeutungslosigkeit“ auslösten. Als das Bundesverfassungsgericht am 17. August 1956 nach jahrelangem Betreiben die KPD verbot, ihr Eigentum einzog und ihre Führer strafrechtlich verfolgen ließ, hatte die Partei immerhin noch rund 80 000 eingeschriebene Mitglieder.

Der mit großer Sachkenntnis geschriebenen Arbeit von Volker Sieger ist eine angemessene Beachtung durch die Fachwelt zu wünschen. Wenngleich im Genre gedruckter Dissertationen unüblich, wäre ein Orts- und besonders Personenregister in diesem Falle außerordentlich nützlich gewesen.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 02/01 (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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