Eine Rezension von Kathrin Chod
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Skepsis gegenüber der Informationsgesellschaft

Neil Postman: Die zweite Aufklärung
Vom 18. ins 21. Jahrhundert.
Deutsch von H. Jochen Bußmann.
Berlin Verlag, Berlin 1999, 253 S.

Etwas altmodisch scheint Neil Postman ja zu sein, er schreibt seine Bücher mit dem Füllfederhalter, schaut nach 18 Uhr kein Fernsehen, hat keinen Internetanschluß und auch keinen Anrufbeantworter. Wer so etwas von sich erzählt, gerät schnell in den Verdacht, ein radikaler Konservativer und ein skurriler Fortschrittsfeind zu sein. Vielleicht überdeckt das auch manchmal die doch sehr ernstzunehmende Kritik an den modernen Massenmedien, für die der amerikanische Soziologe seit den 80er Jahren bekannt ist. In seinem vorliegenden Buch geht Postman noch über seine gewohnte Kritik hinaus: Er sucht die Antworten für die Probleme des beginnenden 21. Jahrhunderts im 18. Jahrhundert, bei den großen Denkern der Aufklärung. Dabei sind es nicht so sehr „wirkliche Antworten“, sondern eher die Fragen und die skeptische Sicht, die er übernimmt.

Ausgangspunkt für Postman sind wieder eine Anzahl von bedenklichen Entwicklungen, die alle um die Komplexe Kindererziehung und Massenmedien kreisen. Im Unterschied zu Postmans Wir amüsieren uns zu Tode von 1983, bei dem man vieles noch schaudernd mit typisch amerikanischen Verhältnissen erklären konnte, beschreibt Postman hier eine Welt, die sich nicht mehr von der in Europa unterscheidet. Längst gewinnen auch hier die telegenen Kandidaten die Wahlen, und Politiker profilieren sich mehr durch die Wahl ihrer Anzugmarke als durch zündende Ideen. Längst verbringen auch in Deutschland die sogenannten Kids mehr Zeit vor dem Fernseher als mit ihren Eltern, und das Angebot wird quantitativ immer größer. So startet zusätzlich zu all den anderen Fernsehsendern dieses Jahr bereits der fünfte TV-Kinderkanal in Deutschland, und das mit einem wahrlich „verblüffenden“ Programm: Foxkids bietet, so der Betreiber, für die Zielgruppe von 3 bis 13 Jahren endlich „Was ihr wollt, statt Zeigefinger“, also Trickfilme, Spielfilme und Serien. Und längst besteht auch in Deutschland das Ziel der Politik für die Erziehung zuvorderst darin, jeder Schule einen Internetzugang zu ermöglichen. Daß gleichzeitig Zahl und Ausbildung der Lehrer erhöht bzw. verbessert werden müßten, davon ist dagegen kaum die Rede. Das ist nicht verwunderlich, auch Postman konstatiert: „Schließlich besteht die ganze Idee der Schulbildung heutzutage darin, die Jugendlichen für ihren Eintritt in das Wirtschaftsleben ihrer Gesellschaft kompetent zu machen, so daß sie auch weiterhin hingebungsvolle Konsumenten sein werden.“ Mit dem Internet verfügen Kinder wie Erwachsene tatsächlich über einen in der Geschichte beispiellosen Zugang zu Informationen. Damit aus dieser Informationsflut überhaupt Wissen werden kann, und nur darauf käme es an, brauchen Kinder die Fähigkeit, Informationen zu filtern und einzuschätzen. Diese Fähigkeit hätten neben den Eltern vor allem die Schulen zu vermitteln.

Postman sieht es als Erbe der Aufklärung, daß die Kindheit als eigenes Lebensstadium anerkannt wurde. Dies zeigte sich nicht nur im Äußerlichen wie dem Aufkommen von Kinderkleidung und der Kennzeichnung von Kindergräbern, sondern auch mit dem Einsetzen einer besonderen Erziehung von Kindern, eigens erdachten Kinderspielen und der gesetzlichen Unterscheidung von Straftaten, die Erwachsene oder Kinder begangen hatten. Der Staat begann, in dieser Zeit zunehmend Einfluß auf die Erziehung der Kinder zu nehmen. Heute hingegen versucht der Staat, sich aus diesen Bereichen eher zurückzuziehen, statt von Anleitung und Erziehung ist von Angeboten die Rede, und sogar die Abschaffung der Schulpflicht wird bereits gefordert.

Wer die heutigen Verhaltensweisen von Kindern betrachtet, bemerkt gerade hier, wie das Buch enorm an Bedeutung verliert. Eine Tendenz, die Postman als Gefahr für die Demokratie ansieht: „Die Gleichzeitigkeit des Zeitalters der Vernunft und der Ausbreitung einer vom gedruckten Wort dominierten Kultur - zunächst in Europa, dann in Amerika - war kein Zufall.“ Lesen befördere das rationale Denken, und sich auf geschriebene Sätze einzulassen bedeute, „einer Sequenz von Gedanken zu folgen, was beträchtliche Fähigkeiten des Einordnens, Schlußfolgerns und Beurteilens erfordert ... Weiterhin bedeutet es, Ideen abzuwägen, Behauptungen zu vergleichen und miteinander zu konfrontieren und Verbindungen zwischen dieser und einer anderen Verallgemeinerung herzustellen. Um dies zu leisten, muß eine gewisse Distanz zu den Worten gewonnen werden, was durch den isolierten und unpersönlichen Text erleichtert wird ... Dank des gedruckten Wortes entstand eine Definition von Intelligenz, die dem objektiven, rationalen Gebrauch des Bewußtseins Vorrang gab und zugleich Formen des Diskurses mit gewichtigen, logisch geordneten Inhalten begünstigte.“ Können die neuen Medien eine ähnliche Leistung vollbringen? Nicht nur Postman verneint diese Frage, an die sich eine weitere anschließt: Hätte ein Kandidat wie Abraham Lincoln im heutigen Medienzeitalter die Chance, Präsident zu werden?

Neil Postmans Anliegen sind nicht die Verdammung einzelner Medien, obwohl er dem zeitweise sehr nahe kommt, sondern die Fragen, zu welchen Veränderungen des einzelnen Menschen wie auch der Menschheit werden die neuen Medien letztlich führen, und welche „Idee des Fortschritts“ wird durch sie gefördert.

Über den Nutzen von Büchern wie dem von Postman mag man streiten. Diejenigen, die kritisiert werden, und jene, für die das Buch eh kaum noch eine Bedeutung hat, werden es nicht lesen. Bleibt nur der Leser, der sich in der eigenen Skepsis gegenüber den angesprochenen Erscheinungen bestätigt findet.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 01/01 (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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