Eine Rezension von Bernd Heimberger

Tränen das Thema

Tom Lutz: Tränen vergießen
Über die Kunst zu weinen.
Aus dem Amerikanischen von Diane von Weltzien.
Europa Verlag, München 2000, 414 S.

Zum Heulen, welche geistigen Klischees für den Klappentext zu dem Buch Tränen vergießen zusammengeklaubt wurden! Tränen treiben einem häufig auch die Texte des Sachbuches in die Augen. Das hätte nicht sein müssen, wären die Texte geschickter übersetzt worden. Die Amerikaner, so die Verlautbarung, haben das Buch ihres Landmanns Tom Lutz mit Freudentränen begrüßt. Womit wir mitten drin sind im Thema Tränen. Tränen sind nicht Tränen! Fürs Weinen hat der Mensch Gründe, findet sich der Mensch Gründe. Tränen fließen, fließen nicht als Tränen, weil sich ein überschüssiges Sekret einen Ausweg aus dem menschlichen Körper sucht. „Diese Unterscheidung“ - nach Gründen - „bezeichnet einen Strang in der Kulturgeschichte des Weinens, der alle Zeiten überdauert hat“, schreibt Lutz. Ein weites Feld also für den fleißigen Tränen-Forscher. Der hatte sich vorgenommen, die Alltagsgeschichte des Weinens zusammenzufassen und umfassend als menschlichste aller Kulturgeschichten des Menschen darzustellen, ohne dabei auf die Tränendrüsen zu drücken. Viel Trost spendet Tom Lutz nicht, der die Leser mit dem Gefühl allein läßt, daß Tränen der „rätselhafteste Beweis für unser Gefühlsleben“ sind. Damit das Rätselhafte nicht auf Dauer völlig unerklärbar bleibt, stapelt der Autor Beweis auf Beweis, um zu erläutern, wann und warum wir zu Heulsusen werden.

Seit Baals Tod - lang, lang ist es her! - sind Tränen verbürgt. Auf einer Tontafel ist überliefert, daß die Schwester Baals „Tränen wie Wein“ trank, als sie die Todesnachricht erhielt. Tränen sind eine Stimulanz. Ein Mittel der Selbstbefriedung. Tränen sind Trostspender. Viel gefragt und gut geeignet im Not-Fall. So klar das ist, nichts ist glasklar, solange die salzigen Tränen fließen. Lutz listete auf, welche Tränen der Trauer und der Freude uns, vom „Werther bis Titanic“, von Literatur, Kunst, Kino abgepreßt wurden. Erstaunlich, was man bereits übers Weinen wußte. Erstaunlicher, was man alles nicht weiß. Vor allem über das weibliche und männliche Weinen, dessen Unterscheidung wahrlich keine Erfindung des Verfassers ist, der wenig über die unterschiedliche chemische Substanz weiblicher wie männlicher Tränen zu sagen hat. Weil es darüber gar nichts zu sagen gibt? Weil eine derartige Trennung tatsächlich etwas zur Enträtselung der Tränen beitragen könnte?

So trocken auch manche Stelle des tränenreichen Buches ist, gelegentlich ist die Lutz-Lektüre mit innerer Rührung zu lesen, ohne vor Rührung zu zerfließen. Der Autor wird sicher keine Tränen vergießen, solange die Leser sein Buch Tränen vergießen nicht achtlos liegenlassen. Wer sich und sein Leben liebt, sollte wissen: Tränen bewässern die Seele! Die Geschichte eines Lebens ist auch die Geschichte der Tränen eines Lebens. Die Geschichte der Tränen ist geschrieben. Wer schreibt die Tränen-Geschichte eines Lebens?


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 01/01 (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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