Eine Rezension von Eberhard Fromm

Die letzte Etappe des Lebens

Marie de Hennezel/Jean-Yves Leloup:
Die Kunst des Sterbens
Der Tod und wie wir mit ihm umgehen können.
Wolfgang Krüger Verlag, Frankfurt/M. 2000, 236 S.

Diese 1997 in Frankreich erschienene Arbeit stellt sich die Aufgabe, auf die verschiedensten Fragen des Sterbens, der Sterbebegleitung und des Todes Antworten anzubieten. Die Besonderheit dieser Antworten liegt darin, daß sie nicht aus medizinischer Sicht oder aus der Sicht konkreter Pflegemaßnahmen bei Sterbenden abgearbeitet werden, sondern sich auf die spirituelle Seite des Problems konzentrieren. Dafür stehen auch die Erfahrungen der beiden Autoren, eine in der spirituellen Sterbebegleitung ausgewiesene Psychologin und ein Theologe. Von beiden liegen bereits verschiedene Veröffentlichungen zum Problemkreis des Sterbens vor.

Hier nun sind sie bemüht, gemeinsam auf die unterschiedlichsten Fragen einzugehen. So sind denn auch die elf Komplexe, mit denen sich das Buch beschäftigt, in Form von Fragen und Antworten gestaltet. Dadurch kann der Leser die Meinung der beiden Autoren in ihrer Unterschiedlichkeit und ihren Gemeinsamkeiten erkennen. Gegensätzliche Positionen treten bei keiner Frage auf.

Der Ausgangspunkt des prinzipiellen Herangehens an das Sterben wird in der Einleitung verdeutlicht, in der darauf verwiesen wird, daß es um die anthropologischen Grundlagen der Sterbebegleitung geht, also um das Verständnis vom Menschen in seiner Ganzheitlichkeit. Der Sterbende ist ein Lebender in einer ganz besonderen Phase seines Lebens und muß als solcher akzeptiert werden - das ist die Kernaussage. „Es geht schlicht und einfach um Liebe und Engagement. Es geht darum, dem anderen in seinem Innersten, in seinen Werten, seinen Sorgen zu begegnen, um ihm die Möglichkeit zu geben, seine eigene ganz persönliche Antwort zu finden.“

Nachdem die Unterschiede von Spiritualität und Religiosität geklärt worden sind, werden die Ansichten vom Tod und vom Sterben in verschiedenen Kulturen diskutiert. Der Tod sei keine Niederlage, sondern Teil des Lebens, ein Ereignis, das erlebt werden müsse. Immer wieder wird mit Nachdruck darauf verwiesen, daß die Zeit des Sterbens für den Menschen - den sterbenden und den ihn begleitenden - einen Sinn und Wert hat. Für den Sterbenden ist es eine Zeit der inneren Arbeit, eine Zeit, die allein ihm gehört; für den ihn begleitenden Menschen wird es eine Zeit des Lernens für das eigene Weiterleben.

Ausführlich wird zu den vorhandenen Ängsten im Prozeß des Sterbens Stellung bezogen, weniger zur Angst vor Schmerzen als zur Angst vor dem Alleingelassenwerden. Im Zusammenhang damit werden einzelne Fragen - zur Wahrheit gegenüber dem Sterbenden, zur notwendigen Geduld, zum verständnisvollen Zuhören u. ä. - beantwortet. Auch Probleme der Auferstehung und Reinkarnation, der religiösen Traditionen und Rituale werden angesprochen. Ein interessanter Vergleich der letzten Schritte eines Sterbenden wird zwischen den Aussagen der Schrift Ars moriendi aus dem Jahre 1492 und den Erkenntnissen von Elisabeth Kübler-Ross in ihren heutigen Beobachtungen angestellt. Zwischen den spirituellen und psychologischen Aussagen, so das Ergebnis, existieren eine Reihe von Übereinstimmungen in der Sicht auf die letzten Momente des Lebens.

Nimmt man alle Fragen und Antworten des Buches zusammen, dann wird deutlich, daß es den beiden Autoren von unterschiedlichen Standpunkten aus um das gleiche Ziel geht: „Es geht darum, den Sterbenden und die Qualität der Zeit, die ihm noch zu leben bleibt, zu respektieren und ihm eine ausreichend offene und rücksichtsvolle Pflege und Hinwendung angedeihen zu lassen, damit er auf eine lebendige Weise in den Tod eintreten kann.“


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 01/01 (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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