Eine Rezension von Hans-Rainer John

Psychogramm eines Sexualmörders

Joyce Carol Oates: Zombie
Roman.
Aus dem Amerikanischen von Renate Orth-Guttmann.
Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 2000, 216 S.

Als vor vielen Jahren Robert Merle seinen Roman Der Tod ist mein Beruf vorlegte, gab es einen großen Diskurs. Dem Autor wurde mangelnde Parteilichkeit vorgeworfen, weil er einen KZ-Kommandanten ausschließlich selbst über sein Leben und seine Taten berichten ließ. Eine Bestie würde vermenschlicht, hieß es, während die Opfer völlig unterbelichtet blieben. Der Massenmörder erhielt nämlich ausführlich Gelegenheit, sein sentimentales Familienleben auszubreiten und uns an den gigantischen technologischen Problemen zu beteiligen, die ihm den Schlaf raubten: die Beseitigung der Leichenberge. Immerhin wurde der Mann am Ende stranguliert. Daran wird man bei Oates Zombie erinnert. Auch hier der fiktive Bericht eines viehischen Serienmörders, der sich als gehorsamer Sohn, hilfsbereites Enkelkind und orderlicher Bürger tarnt, so daß ihm Polizei, Psychologe und Bewährungshelfer das beste Zeugnis ausstellen, während er ungerührt einen Menschen nach dem anderen grausam umbringt. Er bleibt übrigens bis zum Ende von jedem Verdacht frei und plant bereits den nächsten Mord. Die Opfer erhalten in dem Bericht nur Gestalt, indem sie sich - geistig normal, körperlich gesund, sexy in der Ausstrahlung - für den Zweck als geeignet erweisen, und gehen dem Leser nicht wirklich nahe.

Quentin P., Anfang Dreißig, homosexuell, ist im bürgerlichen Leben zum Leidwesen seines Vaters, eines Universitätsprofessors, ein Versager. Mit dem Studium hat es nie recht geklappt, jetzt arbeitet er als Hausmeister. In dem Mietshaus hat er Wohnung und Kellerwerkstatt (die er zur Folterstätte umbaut), und er hat viel Zeit, obwohl er sich ab und zu als Omas Lieblingsenkel nützlich macht. Seine Obsession ist der Besitz eines Zombies, eines willenlosen Geschöpfes, das ihn widerspruchslos anhimmelt, das untertänig allen Weisungen folgt und das ihm jederzeit als williges Sexobjekt zur Verfügung steht. Er lockt anhanglose junge Männer, die keiner vermißt, in seinen Keller und jagt ihnen einen Eispickel durchs Auge ins Hirn. Transorbitale Gehirnlobotomie heißt die Operation, die dauerhaft den Willen ausschalten soll, das hat er in Lehrbüchern recherchiert. Weil er aber laienhaft zu Werke geht und zwischendurch - sexuell aufs äußerste erregt - seine Opfer prügelt und vergewaltigt, sterben ihm die potentiellen Zombies immer wieder unter der Hand weg. Aber es gibt ja genug neues Material. Nur muß er darauf achten, dem nächsten Jungen als erstes die Stimmbänder durchzuschneiden, damit er keinen Lärm machen kann. Dazu ist noch mal ein Blick ins Lehrbuch fällig. Das alles wird im Tone des Alltäglichen und Selbstverständlichen vorgebracht, blutrünstige Einzelheiten und die Schilderung vom Schmerz und Leid der Opfer werden uns gnädig erspart. Im übrigen ist Quentin ein ganz ordentlicher Kerl, fleißig, wenn nötig, und unauffällig, nicht dumm, wenn auch ein wenig maulfaul, nicht gerade charmant, aber er kann auch nett und höflich sein, ein Bürger jedenfalls wie jeder andere, wenn nur eben nicht diese Obsession wäre. Eine Krankheit, für die man ihn bedauern sollte?

In diese Richtung führt Joyce Carol Oates (62), die schon oft die Symptome einer kranken Gesellschaft geschildert hat - die Verlogenheit des bürgerlichen Lebens, Gewaltexzesse jugendlicher Banden, Ausbeutung sozialer Randgruppen -, die Gedanken des Lesers, weil sie sich so distanzlos in den erbarmungslosen Killer einlebt und dem „Helden“ quasi eine moralfreie Zone schafft. Es ist absolut perfekt, wie sie seine Daseinsweise wiedergibt, seine Gedankenwelt, in der kein Platz ist für Skrupel oder Zweifel, genau bis in die Wortwahl. Sogar die äußere Erscheinungsweise - hingeworfene Skizzen, wechselnde Schriftart, eigenartige Schreibweise, Auszüge aus Lehrbüchern - täuscht ein authentisches Tagebuch vor. Eine bewertende Vokabel ist da nicht denkbar. Das ist das Faszinierende und die Stärke des Textes, aber es ist zugleich auch seine Schwäche. Irgendwann fühlt man sich als Voyeur ertappt, und die Folgenlosigkeit der brutalen Verbrechen löst Unbehagen aus. Wenn der Täter schon schlau genug ist, der irdischen Gerechtigkeit zu entkommen, hätte ihn nicht ein Unfall, ein Unglück, ein selbstverfehlter Schritt dahinraffen oder zumindest sein mörderisches Sendungsbewußtsein ins Wanken bringen können? Irgendwie sehnt man sich nach jemanden, der diesen Killer von seinen Zwangshandlungen erlöst. Die Autorin wird sicher dagegenhalten, es sei effektvoller und wirke wie ein Stachel, wenn sie darauf aufmerksam macht, daß solche Monster unerkannt und ungehindert unter uns umgehen, und Gewaltexzesse gehörten nun mal in einem Land, das sie unlängst als Alptraum der Moderne bezeichnet habe, zu den Alltäglichkeiten. Natürlich kann Literatur so auch als Warnschild funktionieren, aber glücklich machen kann solche Lösung doch wohl nicht. Ein peinlicher Rest bleibt - sowohl ästhetisch wie auch moralisch.

Möglicherweise hat das noch einen weiteren Grund. Über Serienmörder sind schon einige Bücher auf dem Markt - Minus Man von Lew McCreary, Blue Velvet von David Lynch, Fargo von den Coen-Brüdern, Butcher Boy von Patrick McCabes, Speed Queen von Steward O'Nan u. a. Sie alle versuchen mehr oder weniger, uns die Mordtaten sozialpsychologisch verständlich zu machen. Zombie dagegen ist ein pathologischer Fall. Es geht um das Ausleben homoerotischer Phantasien und um das Praktizieren von Machtgelüsten. Der soziologische Hintergrund ist schwach: der alltägliche Kleinstadtstumpfsinn, die konservativ geprägte Familie, Erfolgslosigkeit im bürgerlichen Leben. Da entzieht sich die rücksichtslose Brutalität allen Erklärungsversuchen.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 01/01 (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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