Eine Rezension von Volker Strebel

Hier kann ich atmen

Peter Huchel:
Wie soll man da Gedichte schreiben
Herausgegeben von Hub Nijssen.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M. 2000, 534 S.

Nicht etwa Theodor W. Adornos Hinweis, daß nach Auschwitz keine Gedichte mehr geschrieben werden könnten, stand dem Titel dieser von Hub Nijssen gründlich edierten Briefedition Pate. Es handelt sich vielmehr um eine Zitat aus einem Brief von Peter Huchel an seinen in der DDR verbliebenen Freund Walter Janka und dessen Frau Charlotte. Der auf die Siebzig zugehende Huchel berichtet über die ersten Tage und Wochen seines Exils, seiner Emigration in Rom: „Wir trinken jeden Abend 2 Flaschen Wein, während die Katzen um uns herum wimmeln. Ein Mauergecko - mein einziger Trost - blickt mir gerade über die Schulter - wie soll man da Gedichte schreiben? Wir umarmen Euch beide herzlich - stets Euer Peter.“

Wer Peter Huchel war, läßt sich in diesem Briefband gut nachlesen. Seit Mitte der zwanziger Jahre finden sich Briefe von Freunden, Schriftstellern zumeist, an Huchel und umgekehrt. Und wenn man genauer hinsieht, findet sich das letzte Jahrhundert im alten Millennium leidlich dokumentiert. Der blutjunge Peter Huchel hatte aus unerfindlichen Gründen am Kapp-Putsch teilgenommen, trieb sich in halb Europa herum, von Erbsensuppen zu 50 Pfennigen den Teller sich ernährend, und hat Mitte der 20er Jahre seine ersten Gedichte veröffentlicht. Peter Huchel fand Kontakt zur Berliner Künstlerkolonie am Laubenheimerplatz und lebte längere Zeit mit Alfred Kantorowicz, aber auch Ernst Bloch Tür an Tür. Das Schriftstellerpaar Horst Lange und Oda Schäfer hatte noch bis in die 60er Jahre hinein von München aus einen herzlichen Briefwechsel mit „Piese“, wie sie Peter Huchel von früheren Zeiten her genannt hatten. Während des Zweiten Weltkrieges diente Huchel im Bereich des Flugmeldedienstes in einem Nachrichtenregiment. Keineswegs stromlinienförmig angepaßt - wie die Briefe aus dieser Zeit zeigen. Einen besonders schikanösen Ausbilder hatte Huchel vor versammelter Mannschaft mit einem Faustschlag niedergestreckt. Glücklicherweise hatte der Dichter und damalige Wehrmachtsoffizier Georg von der Vring Peter Huchel vor schwerwiegenderen Konsequenzen schützen können.

1949 übernahm Peter Huchel die Chefredaktion der auf Initiative des Dichters und Kulturministers Johannes R. Becher neu gegründeten Zeitschrift „Sinn und Form“, die er bis zu seiner erzwungenen Entlassung im Jahr 1962 zu einem der profiliertesten Periodika deutscher Sprache gestaltet hatte.

Ein guter Teil des abgedruckten Briefwechsels in diesem Band ist in direkter und indirekter Weise der aufreibenden Tätigkeit des Chefredakteurs gewidmet. Wichtige Freundschaften entstanden in dieser Zeit, Namen wie Werner Krauss oder Hans Mayer stehen dafür. Freilich, der Spielraum eines Chefredakteurs im Berlin der SED war erheblich eingeschränkt. Huchel selbst äußert sich 1957 dazu: „Ich bin Kummer gewohnt, es ist ein überaus diffiziles, ja undankbares Amt, eine Zeitschrift im Jahrzehnt des kalten Krieges redigieren zu müssen.“ Aber Peter Huchel war nicht nur der Redakteur einer renommierten Literaturzeitschrift, er hatte sich seit seinen ersten Veröffentlichungen in den 20er und 30er Jahren einen unzweifelhaften Namen als Lyriker gemacht. Während er in der DDR „Sinn und Form“ leitete, wurden in Ost und West in den unterschiedlichsten Blättern und Almanachen seine Gedichte abgedruckt. Paul Celan oder auch Oskar Loerke und Günter Eich fühlte sich Peter Huchel auch im poetischen Sinne verbunden. Einen besonderen Zugang hatte Huchel zur tschechischen Dichtung gefunden. „In der tschechischen Lyrik fühle ich mich zu Hause, hier kann ich atmen“, so äußerte sich Huchel zu Beginn der 60er Jahre in der tschechischen Literaturzeitschrift „Svetová literatura“ [Weltliteratur]. Die wechselseitige dichterische Beeinflussung zwischen Jan Skácel und Ludvik Kundera, einem der treuesten und nahesten Freunde von Peter Huchel, bliebe noch zu untersuchen. Die 70er Jahre in der DDR standen für Peter Huchel im Zeichen von jahrelangem Veröffentlichungs- und Reiseverbot. Selten wurde ihm Post zugestellt, Zeitungen und Zeitschriften erreichten ihn kaum: „Die Isolierung ist vollkommen.“ Der Tübinger Rhetoriker Walter Jens drückte in einem Brief von 1964 sein Bedauern aus: „... wenn man liest, daß Sie keine Ausreise bekommen und andererseits Franz Joseph Strauß: man möchte sich aufhängen.“ Man möchte sich die Augen reiben!


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 01/01 (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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